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Schinkels ganz moderner Schüler

Ludwig Mies van der Rohe und seine Berliner Jahre werden im Alten Museum ausgestellt. Die Wahl des Ortes ist Programm: Der Heros der modernen Architektur und Mitbegründer des „International Style“ soll in den geistigen Traditionen des strengen preußischen Klassizismus groß geworden sein

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die Liebe zwischen dem Architekten und der Stadt hielt ein Leben lang. Obwohl er als letzter Bauhaus-Direktor 1933 sein Steglitzer Domizil schließen musste. Obwohl die Stadt ihn 1938 ins Exil nach Chicago vertrieben hatte. Obwohl seine futuristischen Hochhausentwürfe allesamt in der Schublade der Bauverwaltungen verschwanden.

1968, ein Jahr vor seinem Tod, ließ Ludwig Mies van der Rohe sich in seinem weißen Mercedes-Benz in den freien Stunden des Baus der Neuen Nationalgalerie durch Berlin, „meine Stadt“, kutschieren. Und er genoss es, als die Berliner zu tausenden kamen, um dem spektakulären Anhub der riesigen Dachplatte beizuwohnen, als diese sich Stück für Stück in die Höhe bewegte und trotz tonnenschwerer Last scheinbar leicht durch die Luft schwebte.

Die Neue Nationalgalerie auf dem Kulturforum ist Mies van der Rohes einziges Bauwerk im Nachkriegsdeutschland. Sie verfestigte zugleich die Interpretation seines Oeuvres als baulicher Chiffre des „International Style“ und justierte die Kritik einer „seelenlosen“ Architektur, der die klassische Moderne sich bis dato ausgesetzt sieht.

Auch die Mies-Rezeption unterliegt seit den frühen Ausstellungen, 1932 sowie 1947, diesem Stigma. Mit „Ludwig Mies van der Rohe. Die Berliner Jahre 1907 bis 1938“ unternehmen die Ausstellungsmacher zwar keine Revision des Mies-Bildes, öffnen aber einen neuen Zugang zu dem Architekten und seinem Werk. Programmatisch erhellt dabei die Wahl des Ausstellungsortes, nämlich Schinkels Altes Museum, den Kontext der ersten Gesamtschau seiner Berliner Zeit – entstanden doch die ersten baulichen Versuche von Mies van der Rohe „unter dem Eindruck des preußischen Klassizismus“, wie Andreas Schätzke, Kunsthistoriker der Staatlichen Museen zu Berlin betont. Mies, der Preuße, Mies aus der Perspektive des Klassizismus und seiner Lehrer Peter Behrens und Bruno Paul, – wird damit nicht zuletzt einer der wildesten Modernisten für das Preußenjahr-Pathos vereinnahmt? Wohl kaum. Vielmehr versucht Ludwig Mies van der Rohes „Berliner Jahre“ einen raumübergreifenden Blickwinkel auszuloten: Es geht um Berliner Architektur und deren Wirkung auf den Architekten sowie um dessen spezifische Wurzeln, die Mies selbst in der abstrakten, aber strengen Gestaltung seiner Hochhäuser oder der Neuen Nationalgalerie nie ganz verlassen hat.

Trotzdem beginnt die Ausstellung mit einer Irritation, wird doch das Bekannte suggeriert: Am Eingang begegnet der Besucher einem überlebensgroßen Porträt von Mies, das den 21-Jährigen 1906 vor seinem ersten Bauwerk, der Villa Riehl in Potsdam, zeigt. Im dunklen Anzug, lässig die Zigarre in der Hand, gibt Mies wie Max Beckmann in seinem „Selbstbildnis mit Smoking“ (1927) den kosmopolitischen Künstler aus dem Berlin der Zwanzigerjahre – als folge zwangsläufig in der Schau gerade jene Phase der modernistischen Visionen und Entwürfe, des internationalen Stils und der abstrakten Architekturhandschriften, die den Architekten so berühmt und sattsam bekannt machten.

Mit der Inszenierung und Selbststilisierung bedient sich die Schau jedoch eines Tricks, um Distanz aufbauen und Überraschendes bieten zu können: Denn Ludwig Mies van der Rohes bauliche „Start-ups“ und seine geistigen Wahlverwandten entstammen sehr viel lokalerem Kolorit und preußischen Traditionen. Das Haus Riehl, das Mies nach seiner Ausbildung als Bauzeichner in seiner Heimat Aachen und der Übersiedlung nach Berlin 1905 entwarf, ist ebenso Schinkels strengem Formenkanon und klassischen Vorlagen verpflichtet wie das Haus Perls in Zehlendorf (1912) oder das Haus Urbig in Neubabelsberg (1917). Zu den Besonderheiten der zweigeschossigen Wohnbauten zählen nicht nur die kubischen Baukörper aus Backstein, mit Loggien und in symmetrischer Gestaltung im Vokabular einer frühen Reduktion und Abstraktion, sondern auch die neuartige Auslegung der Schinkelschen Villenarchitektur und deren geometrische und optische Verknüpfung von Haus und Garten.

Zu Recht weisen Barry Bergdoll im Katalog und die Ausstellung selbst auf das bislang ausgeblendete Haus-Garten-Kapitel in Mies van der Rohes Formenkanon hin. Verantwortlich dafür waren die Ausstellungen 1932 und 1947 im New Yorker Museum of Modern Art (Moma), in denen die Macher Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson den Deutschen Weltausstellungspavillon in Barcelona (1927) und das Haus Tugendhat (1928/30) in Brünn ihrer Gärten „beraubten“. Die in den Grundrissen festhaltenen Linien und Landschaften wurden einfach getilgt, als seien sie von keiner Bedeutung. „Die Auslassungen“, so Bergdoll, „sollten jedoch in ganz erheblichem Maße die Wahrnehmung und Deutung von Mies’ Werk beeinflussen.“ Die Gebäude wurden aus ihrer Umgebung herausgelöst, die Häuser wurden zu autonomen Körpern und die Entwürfe zu abstrakten Konstruktionen, um früh bereits die moderne Architektursprache des späten Mies van der Rohe zu antizipieren und ihn den führenden Köpfen der Moderne wie Le Corbusier, Walter Gropius und dem Bauhaus zuordnen zu können.

Dass Mies van der Rohe selbst in seinen Planungen der Zwanzigerjahre, die vom neuen Stil aus klaren geometrischen Formen, Flachdächern, glatten Wandscheiben, verschachtelten Kuben und gläsernem Material geprägt waren, sich dem Schinkel’schen Programm einer ausgearbeiteten Innen- und Außenraumgestaltung, dem dialektischen Verhältnis von Landschaft und Architektur verwandt fühlte, führt die Ausstellung auch in ihrer zweiten Hälfte konsequent in der Darstellung von Modellen, Zeichnungen und Fotografien fort.

Das bekannte Wohnhaus Wolf in Guben (1925/27), die schnittige Villa für Hermann Lange und das Haus Esters (1927 bis 1930) oder das kleine L-förmige Wohnhaus für den Berliner Drucker Karl Lemke (1933), das sich, geschosshoch verglast, ganz zum Garten öffnet, beleuchten Mies neu: als Inszenator von Bau- und Gartenkunst, als Schöpfer ästhetischer Erfahrungen durch sorgfältig geplante Ausblicke und als beinahe bürgerlichen Planer mit dem Anspruch, ein Gesamtkunstwerk im Sinne des 19. Jahrhunderts zu realisieren.

Mies allein im Fokus streng komponierter Wohnbauten und deren Verhältnis zum Außenraum auszustellen, zeichnet natürlich kein vollständiges Bild seiner „Berliner Jahre“. Zu wichtig waren für den Architekten die metropolitane Erfahrung von Mobilität, die großstädtische Bauaufgabe für Hochhäuser in den Zwanzigerjahren und der soziale Wohnungsbau samt den Erneuerungen im Grundriss. „Das Bürohaus ist ein Haus der Arbeit, der Organisation und der Klarheit“, formulierte Mies van der Rohe 1923 in einem revolutionären, fast emotionslosen Tonfall in der von ihm und anderen Avantgardisten herausgegeben Zeitschrift G.

Fast pathetisch und voll Poesie erscheinen seine Planungen – sein berühmter organisch geformter Hochhausentwurf für den Glasturm in der Friedrichstraße (1921) oder die schwebend leichten Bürohausfiguren aus Stahl und Glas (1928) für die Leipziger Straße.

Bis auf den Wohnblock in Stuttgart-Weißenhof und die Siedlung in der Afrikanischen Straße in Berlin (beide 1927) sowie den Pavillon in Barcelona als Symbol aufgelöster Architektur und des freien Grundrisses blieben die Architekturmanifestationen der Moderne Papier. Zu radikal in der Form, zu innovativ in ihrer transparenten Materialität und leichten Konstruktion aus Stahl und Eisen und zu unbewohnbar für den konventionellen Nutzer jener Zeit erschienen Mies van der Rohes Entwürfe.

Die Verwirklichung seiner avantgardistischen und großstädtischen Bauideen blieb, nachdem Mies Nazi-Deutschland 1938 verlassen musste, Chicago und New York vorbehalten. Und in einer späten Liebeserklärung mit der Neuen Nationalgelerie dann auch Berlin.

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