: „Es war ein relativ geschützter Raum“
Vor 50 Jahren wurde die Evangelische Akademie gegründet. In der DDR bot ihr Ostberliner Büro oft die einzigen Foren für freie Dispute systemkritischer Bürger. An diesem Wochenende schaut die Akademie auf diesen Teil ihrer Geschichte
taz: Dieses Jahr wurde die Akademie 50 Jahre alt – an diesem Wochenende gibt es eine Tagung zu diesem Thema. Waren die wichtigste Zeit der Akademie die Jahrzehnte in der DDR?
Rolf Hanusch: Ab 1953 spaltete sich die Akademie in eine Ost- und eine Westakademie. Die Nachkriegszeit und die Zeit des Kalten Kriegs war sicherlich die wichtigste Zeit. Da spielte die Ostberliner Akademie eine bedeutende Rolle.
War die Ostberliner Akademie ein Freiraum in der DDR, wo man offener reden konnte?
Es gibt Kronzeugen wie Wolfgang Thierse, der (als Katholik!) sagt, seine geistige Entwicklung wäre anders gelaufen, wenn es die Evangelische Akademie nicht gegeben hätte. Es war ein relativ geschützter Raum. Über das, was „relativ“ bedeutet, haben wir mittlerweile viele Meter Akten – von der „Gauck“-Behörde.
War es nicht eine Pseudofreiheit, eine Spielweise für Leute, die nicht völlig mundtot zu machen, aber auch nicht wirklich gefährlich waren?
Einerseits war Freiraum da, andererseits wurde vieles nicht offiziell gesagt. Das war sicherlich der Preis. Manche Kritiker von der Bürgerbewegung warfen uns allerdings vor, dass man mehr aus dem Freiraum hätte machen können.
Wie viele IMs gab’s im Haus?
Da muss man unterscheiden: In der Westakademie gab es Peter Heilmann, der 17 Jahre die Westberliner Akademie bespitzelt hat. Wir wissen ganz sicher von einem IM bei der Ostberliner Akademie, der anfänglich ihr Leiter war. Es gab keine Tagung, die nicht von der Stasi protokolliert wurde.
Hat die Ostberliner Akademie der DDR-Opposition entscheidend geholfen?
Es war sicherlich eine Grundvoraussetzung, dass es diesen Gesprächsraum gab. Gegen Ende der DDR waren die Bügerbewegten noch entschiedener. Dennoch hielten sie ihre Beziehungen zur Akademie – etwa Ulrike Poppe.
Welchen Einfluss hat die Akademie heute?
Der Einfluss einer einzelnen Akademie ist heute bestimmt eher gering. Das Spektrum ist vielfältiger geworden, was auch an der veränderten Medienlandschaft liegt. Wir können nicht mehr allgemein die Welt thematisieren, sondern wir sollten alles im Licht des Evangeliums reflektieren. Dabei geht es vor allem um ethische Fragen, etwa die Bioethik-Debatte. In die großen nationalen Debatten können wir unsere ethische, christliche Stimme mit hineinbringen.
Suchen Sie auch Einfluss auf die Politik in der Hauptstadt?
Nur sehr indirekt. Manche Politiker sind sehr häufig da. Helmut Schmidt hat über Fritz Erler, Joschka Fischer über Gustav Stresemann gesprochen. Wir haben Anfragen vom Innenministerium und vom Kanzleramt zum interreligiösen Dialog. Aber wir haben nicht den Anspruch, zu missionieren oder Druck auf die Politik auszuüben.
Nur etwa 40 Prozent der Berliner sind getauft. Ist da die Evangelische Akademie nicht auf verlorenem Posten?
Das ist schon eine Ausnahmesituation. Weltweit gibt es außer Tschechien keine Region wie in den neuen Ländern, wo die Mehrheit der Menschen überhaupt nicht religiös gebunden ist. Aber das ist ja auch aufregend und herausfordernd. Die Fragen, die an uns gestellt werden, sind oft viel virulenter und engagierter, als ich das je in Westdeutschland erlebt habe.
Wann wird es eine Ökumenische Akademie geben?
Frühestens nach dem Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin, den wir erst mal gut gestalten müssen. Aber nach so einer Akademie sieht es im Augenblick trotz guter Zusammenarbeit noch nicht aus.
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER
Rolf Hanusch (58) ist seit 1994 Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin.
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