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Einer, der immer aneckte

Stefan Heym ist gestorben. Widersetzen war der Lebensinhalt des Schriftstellers – bis zum Schluss

von NICK REIMER

Parterre. Zum Schluss stand der Computer im Wohnzimmer. „Ich bin ein alter Knochen“, pflegte Heym zu kokettieren. Natürlich meinte er damit den immer schwereren Gang über die Treppen, die in sein Arbeitszimmer führten, und nicht sein Schreiben. Stefan Heym hat immer geschrieben. Schon auf dem Gymnasium in Chemnitz brachte er mit für seine Jugend erstaunlich spitzer Feder Antikriegsgedichte zu Papier, was ihm prompt die Relegation einbrachte. Aber auch das ist charakteristisch für Stefan Heym: Kantig, trotzig, bissig widersprach er, wo es nötig schien; weise, hitzig, wortgewandt legte er sich an mit Macht und Mächtigen. Was schwer ist und Schwierigkeiten macht. Aber genau so war das Leben von Stefan Heym.

Schwierigkeiten. Sein ganzes Leben begleiteten sie ihn. Stefan Heym, der als Helmut Flieg geboren wurde, gelang unter Schwierigkeiten 1933 über Prag die Flucht nach Amerika. Heym hatte in Ossietzkys Weltbühne gegen die Nazis angeschrieben. Unter Schwierigkeiten leitete er in New York das Deutsche Volksecho, eine antifaschistische Wochenzeitung, die schon bald Pleite ging, weil sie ins offizielle Deutschlandbild der USA so gar nicht passen wollte. Als Propagandaoffizier für die US Army lernte Heym dann die Schwierigkeiten des Krieges gegen sein Volk kennen – und muckte gegen die amerikanische Besatzungsmacht auf, was ihm die Versetzung nach Amerika einbrachte. Dort interessierten sich bald die Kommunistenjäger für den Deutschen: Der Ausschuss für unamerikanische Umtriebe des Senators Joseph McCarthy ließ Heym überwachen und vorladen. Heym hielt es für an der Zeit, in seine Heimat überzusiedeln, in den demokratischen Teil, nach Ostberlin, was ihm allerdings mehr Schwierigkeiten einbrachte als gedacht. Und kaum anderthalb Jahre zurück, erregte er ob seines Eintretens für eine kritische Debatte nach dem 17. Juni 1953 das Missfallen Walter Ulbrichts. Die offene Kontroverse mit Ulbricht folgte beim Schriftstellerkongress 1956, und als Erich Honecker im November 1965 auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED Heyms Roman „5 Tage im Juni“, der den Aufstand von 1953 reflektierte, resolut angriff, war die politische und persönliche Isolation des Schriftstellers besiegelt. Stefan Heym durfte nicht mehr publizieren.

Heym gehörte zu den Ersten, die sich 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns wandten. Fortan war Stefan Heym die schreibende Unperson Nummer eins der SED. „Das Bild unserer Menschen ist empörend verfälscht“, schrieb die Kulturzeitschrift Sonntag 1979 über seine neueste Unbotmäßigkeit. Die war unter dem Titel „Collin“ im deutschen Westen erschienen, ein Roman, der schonungslos mit der stalinistischen Realität des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden abrechnet. Bislang lediglich isoliert, lieferte jenes Buch der Staatsmacht den willkommenen Anlass, Heym nun auch strafrechtlich zu verfolgen – etwa wegen des Vergehens gegen die Devisenbestimmungen der DDR. Aus dem Schriftstellerverband der DDR wurde daraufhin der unbequeme Autor ausgeschlossen. Aber Stefan Heym blieb in der DDR, seinen Lesern zuliebe: Die saugten seine kluge Ketzerei auf wie das Wasser in der Wüste. Was Heym zum Nestor der Bewegung werden ließ, die 1989 die SED hinwegfegte.

Auch im neuen Deutschland fand sich Stefan Heym schnell auf der Seite derer wieder, die gegen sind. Heym wandte sich gegen eine vorschnelle Wiedervereinigung, gegen die Schließung der Kalisalzgrube in Bischofferode, gegen die Bombardierung Serbiens. Doch das neue Deutschland bot ihm auch die Chance, einmal dafür zu sein: Im November 1994 wählte der Deutsche Bundestag Stefan Heym zu seinem Alterspräsidenten, den er mit einer im Vorfeld gefürchteten, dann als klug bezeichneten Rede eröffnete. Der einzige wortgewaltige Auftritt des Wortgewaltigen im deutschen Parlament. Wenig erfolgreich, wie er wenig später feststellen musste: 1995 legte er sein Mandat nieder, aus Protest gegen eine geplante Diätenerhöhung, wie Heym begründete; aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit.

Stefan Heyms historische Romane sind die besseren Bücher; sein Generalthema war von Anfang an historisch und politisch: Revolution, Diktatur, Freiheit, Demokratie und Sozialismus – Abstrakta, deren Kongruenz er nicht a priori voraussetzte.

Woher nahm er das, woher die ganze Kraft? „Ich habe schon Bücher geschrieben, als es die DDR noch nicht gab“, pflegte Heym vor 1989 zu sagen. Nie sei er „zu Kreuze gekrochen, habe nie eine Hand zum Verrat gereicht“, sagte er gern danach. Und die Anfeindungen machten ihn stark. Zweifelsfrei hatte Stefan Heym das, was er bei den Ostdeutschen im Jahre 1989 so sehr vermisste, sein Leben lang praktiziert: den aufrechten Gang.

„Das kenne ich gut“, sagte Heym, als die taz vor Jahresfrist mal wieder vor finanziellen Problemen stand. Schließlich ging es 1939 seinem Deutschen Volksecho auch enorm schlecht. Heym ist damals losgezogen um Unterstützung und Geld aufzutreiben. „Aber damals interessierte sich niemand für die Nazis.“ Aus Sympathie schenkte Heym der taz zum letzten Weihnachtsfest eine Geschichte: „Mein lieber Klon!“ Als hätte Heym es geahnt, kam er mit seinem Thema – der Klonierung des Menschen – zur richtigen Zeit: Die britische Regierung hatte gerade das Klonen von Embryonalzellen genehmigt.

Weder Weihnachten noch das Klonen des Menschen wird Stefan Heym erleben. Gestern ist der große, linke Chronist des vergangenen deutschen Jahrhunderts gestorben. In Israel erlag er einem Herzversagen. Der Tod ereilte ihn symbolträchtig: Der Jude Heym war in das jüdische Land gereist, um an einem Kongress über den deutschen Dichter Heinrich Heine zu referieren. Den verehrte Heym enorm. Schon in seiner Magisterarbeit an der Universität von Chicago hatte sich Heym mit Heine befasst.

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