: Spätberufener Musterschüler
Buchvorstellung: Bilanz von fünf Jahren direkter Demokratie ■ Von Gernot Knödler
Hamburg ist mit der Einführung von Bürger- und Volksbegehren gut gefahren. Das ist der Tenor eines Sammelbandes über „Fünf Jahre direkte Bürgerbeteiligung in Hamburg“, den die Landeszentrale für politische Bildung gestern vorgestellt hat. So habe die Einführung des Bürgerbegehrens auf Bezirksebene das kommunalpolitische Gefüge „nicht durcheinandergebracht, sondern belebt“, berichtet Gerhard Fuchs aus seiner Zeit als CDU-Fraktionschef in Wandsbek.
Hamburg, stellen die Bremer Wissenschaftler Andreas Fisahn und Andreas Bovenschulte fest, habe zwar als letztes Bundesland überhaupt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für direktdemokratische Verfahren geschaffen, sich in den vergangenen fünf Jahren jedoch „zu einem direktdemokratischen Musterschüler“ gemausert. Die Quoren für Volks- und Bürgerbegehren sowie für Volks- und Bürgerentscheide gehörten zu den niedrigsten in der Republik. Außerdem könnten die BürgerInnen nicht nur zu Gesetzentwürfen Stellung nehmen, sondern auch zu anderen „Gegenständen der politischen Willensbildung“.
Insgesamt sieben „Volksinitiativen“ auf Ebene des Stadtstaates und 26 „Bürgerbegehren“ in den Bezirken hat es seit 1997 gegeben. Wie die Tabellen im Anhang des Bandes ausweisen, kam es nur in drei Fällen zu einem Volks- oder Bürgerentscheid, wobei sich die Initiatoren zweimal durchsetzten. In sieben weiteren Fällen übernahm eine Bezirksversammlung das Anliegen oder sie einigte sich mit den Initiatoren. Das Bürgerbegehren gegen den Freizeitpark TV-World in Jenfeld trug als Protestform zum vorläufigen Ende des Projekts bei. In einem Fall gab die Bürgerschaft dem Wunsch nach Sonntags geöffneten Videotheken nach.
Keine schlechte Bilanz also für die Initiativen. Fuchs räumte aus Sicht eines Bezirkspolitikers ein, Bürgerbegehren seien ein konstruktives und notwendiges Mittel. Allerdings warnte er: „Die Erwartungshaltung der beteiligten engagierten Bevölkerung entspricht der Realität selten.“ Denn auf Bezirksebene könnten die Bürger nur über Themen entscheiden, die in die Kompetenz der Bezirksversammlung fielen. Alles andere sei eine bloße Meinungsäußerung.
Hartmut Falkenberg von der Bürgerinitiative Bahnhofsvorplatz Bergedorf kritisierte die ungleich verteilten Chancen zwischen den Parteien und den Initiatoren eines Bürgerbegehrens. Er schlug deshalb vor, eine Art Wahlkampfkostenerstattung für Bürgerentscheide einzuführen.
Neben weiteren Reformvorschlägen und Ausführungen zur Praxis der Bürgerbeteiligung enthält das Buch einen Anhang mit den einschlägigen Gesetzen und Dienstvorschriften. „Sie finden hier Material, das von allen möglichen Initiativen verwendet werden kann“, sagte Herausgeber Hans Peter Bull, ehemals Bundesbeauftragter für den Datenschutz. Ein „Handbuch der Bürgerbeteiligung in Hamburg und darüberhinaus“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen