: Kurzer Prozess statt neuer Beweise
Es gilt als sicher, dass der ehemalige „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill heute vom Vorwurf der Rechtsbeugung freigesprochen wird. Das dürfte auch mit seiner neuen Rolle als Innensenator Hamburgs zu tun haben. Sein Verteidiger wird übrigens Staatsrat
aus Hamburg ELKE SPANNER
Beim seinem ersten Prozess vor einem Jahr saß ein wahlkämpfender Amtsrichter mit dem Beinamen „Gnadenlos“ auf der Anklagebank des Hamburger Landgerichts. Diesmal ist es ein gewählter Politiker. Hatte Ronald Schill in der ersten Instanz noch in jeder kleinen Pause von sich aus Fernsehteams und Fotografen aufgesucht, um vor deren Kameras über Missstände in der Hamburger Justiz zu dozieren, hält er sich als Regierungsmitglied nun bescheiden zurück: „Kein Kommentar“.
Nach nur zwei Tagen Beweisaufnahme ist klar, dass Schill auch keinen Anlass zu Schimpftiraden hat. Es gilt als sicher, dass er heute vom Vorwurf freigesprochen wird, in seiner Zeit als Richter eine Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung begangen zu haben. Selbst der Staatsanwalt hat auf Freispruch plädiert.
Im Mai 1999 hatte Schill während eines Prozesses zwei Zuschauer aus der linken Szene in Ordnungshaft gesteckt und deren Beschwerde erst fast drei Tage später zur Bearbeitung an das zuständige Oberlandesgericht weitergereicht. Dafür hatte ihn das Landgericht im November 2000 zu einer Geldstrafe in Höhe von 12.000 Mark verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig hat den Fall im September zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen – mit einem klaren Auftrag: Er bestätigte, dass „eine zügigere Bearbeitung der Beschwerden wünschenswert und unter Berücksichtigung der sonstigen dienstlichen Verpflichtungen und privaten Interessen des Richters auch zumutbar gewesen wäre“. Strafbar habe sich Schill aber nur gemacht, wenn er zielgerichtet in der Absicht gehandelt hätte, die beiden möglichst lange im Gefängnis „schmoren zu lassen“.
Und ob das sein Vorsatz war, sollte das Landgericht nun herausfinden.
Darum bemüht hat es sich nicht. Die Rollen fast aller Prozessbeteiligten haben sich geändert, seit Hamburg Ende September eine neue Regierung wählte: Statt rot-grün regiert nun eine Rechtskoalition aus CDU, Schill-Partei und FDP. Der Angeklagte ist jetzt Innensenator. Sein Verteidiger wird zu seinem Innenstaatsrat gekürt, sobald das Strafverfahren abgeschlossen ist. Die Staatsanwaltschaft ist nun von einer Justizbehörde weisungsabhängig, deren Chef CDU-Koalitionspartner des Angeklagten ist.
Und die beiden Betroffenen, die damals fast drei Tage im Gefängnis saßen, wurden vom Prozess ausgeschlossen: Die Große Strafkammer des Landgerichtes lehnte ihren Antrag auf Nebenklage ab. Statt neuer Beweiserhebung gab es einen kurzen Prozess: ZeugInnen, die damals in jenen drei Tagen mit Schill Kontakt hatten und in der ersten Instanz über Stunden zum genauen Wortlaut und Tonfall jedes Gespräches befragt worden waren, sollten diesmal nur abnicken, was ihnen der Vorsitzende Richter als ihre alte Aussage vorhielt.
Anklagevertreter Ulf Gerhardt hatte zu Beginn der neuen Verhandlung zwar noch in die Pressemikrofone gesprochen, dass nun „wieder alles offen“ sei. Dann aber erschöpfte sich sein Beitrag in der Frage an die ZeugInnen, ob Schill ihnen gegenüber direkt geäußert hatte, die Gefangenen „schmoren“ zu lassen. Hatte er nicht. Folglich resümierte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer, dass Schill nicht nachgewiesen werde könne, die Bearbeitung der Beschwerden mutwillig verzögert zu haben. Anschließend rechtfertigte der Staatanwalt ausführlich die Arbeit seiner Behörde: Er wies die Unterstellung Schills zurück, dass er aus politischen Gründen angeklagt worden sei.
Politische Konsequenzen würde eine Verurteilung des Innensenators aber auf jeden Fall haben: Regierungspartner Rudolf Lange (FDP) hatte vor der Wahl angekündigt, dass ein verurteilter Straftäter für ihn als Koalitionspartner untragbar sei.
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