: Krieg, von fern gesehen
Wie die Nachrichtenmacher des ZDF täglich die Ereignisse in Afghanistan und Israel von der Mainzer Sendezentrale aus für die TV-Zuschauer aufbereiten
von STEFAN KUZMANY (Text) und MIRKO KRIZANOVIC (Fotos)
Der Raum ist gekrümmt. Lang biegt sich der Gang. Die Wand zunächst orange, dann blau, freundlich grüßen die Mitarbeiter, behände unterwegs ein jeder. Wie Zwiebelschalen liegen die Büros um das große Studio des ZDF-Sendezentrums in Mainz. Geschäftigkeit wie auf den Fluren des Raumschiffs Enterprise, nur mehr Aschenbecher als dort. Zweiter Unterschied: Gemessen wird das Tempo hier nicht in „Warp“. Die Einheit sollte vielmehr „Warken“ sein.
Kurz nach 10 Uhr. Bettina Warken, die Nachrichtenchefin, blond, hellgrauer Rolli, über dem Kragen wippt ein ägyptisches Lebenssymbol am Goldkettchen, auf dem Weg zur ersten heute-Konferenz des Tages. Stößt die Tür auf, auf der „Newshighway“ steht. Dahinter das Großraumbüro der Nachrichtenredaktion, links die Online- und Videotextabteilung, rechts der Schlussredakteur, hinten die Grafikabteilung. Im gekrümmten Raum sind die Plätze der Redakteurinnen und Redakteure verteilt. Ungefähr 80 arbeiten für Warken, viele junge Menschen. Auch Bettina Warken ist jung, 38 Jahre. „Wer hier nicht recherchiert, kriegt auf die Finger“, sagt sie, dann schnell weiter, wieder raus auf den gekrümmten Gang, in den Konferenzraum. Was liegt an, heute, am 12. Dezember? Otto Schily hat den Kalifatsstaat verboten. Tora Bora wird noch immer beschossen. Die US-Regierung will das mit Spannung erwartete Bin-Laden-Video veröffentlichen. In Hamburg ist ein mutmaßlicher Drogendealer nach dem erzwungenen Einsatz von Brechmitteln gestorben. „Dann lasst uns mal Folgendes festlegen“, fällt Bettina Warken manchmal einem der Redakteure ins Wort, denn die Zeit ist knapp.
Für Frauen wie Bettina Warken ist das neudeutsche Wort „tough“ erfunden worden. Seit Anfang 2001 ist sie verantwortlich für die heute-Nachrichten; bevor sie zum öffentlich-rechtlichen ZDF kam, war sie bei SAT.1. Sie muss keine Vergleiche scheuen was Kosten, Qualität und Quote betrifft, mit niemandem.
Frische Eier aus der Regie
Folglich ist sie auch offensichtlich genervt von den Diskussionen der letzten Zeit, in denen es darum geht, wer neuer Intendant des größten europäischen Fernsehsenders wird. Genervt vor allem von der Mäkelei, die mit der Intendantensuche verbunden ist und die vor allem NRW-Ministerpräsident Clement zu seiner Sache gemacht hat: „Das ZDF“, hat Clement kürzlich erklärt, „ist zu alt, zu teuer und zu zentralistisch.“ Für so etwas, sagt Bettina Warken, sei ihr „Verständnis begrenzt“. Doch auch damit kann und will sie sich nicht lange aufhalten. Ihre Aufgabe ist das Nachrichtenmachen. Der Intendant leite und repräsentiere den Sender, sei der „Mister ZDF“, präge die Unternehmenskultur.
Die Unternehmenskultur. Wer hinter den Pforten des ZDF-Areals arbeitet, muss nicht viel Kontakt zur Außenwelt halten. Es gibt eine eigene Filiale der Stadtsparkasse Mainz, einen eigenen Friseur, und ein Kollege aus der Regie verkauft frische Eier aus eigener Aufzucht. Auf den langen Fluren kann man Mitarbeiterinnen begegnen, die versonnen vor sich hin summen.
Aber nicht in der Nachrichtenredaktion. Sabine Rieden verzieht das Gesicht. Die 43-Jährige Redakteurin hat heute die Aufgabe, für die 19-Uhr-Sendung einen Bericht über die Lage in Afghanistan zusammenzustellen, aus Bildern, die vor Ort aufgenommen und in die Mainzer Sendezentrale übermittelt werden. Ihre Mutter ist schon gefragt worden: Ist das nicht gefährlich, wenn deine Tochter jetzt in Afghanistan ist, wo dort doch so viele Journalisten ums Leben kommen? Sie sind verwirrt, weil da immer am Bildrand steht: „Bericht: Sabine Rieden“. Aber Sabine Rieden ist nicht in Gefahr, nur etwas missmutig schaut die „Zentralreporterin“ die Sequenzen durch, die sie im Euro-Pool, einem Verwertungszusammenschluss europäischer Fernsehsender, geboten bekommt. Auf ihrem Monitor: das, was vom Kampf um Tora Bora gefilmt worden ist an diesem Tag. „Jetzt kommt wieder das Standardmaterial“, seufzt Rieden. „Ich könnte das schon nachzeichnen: Kondensstreifen. Flugzeug. Rauchwolke – aha, Flugzeug hat Bombe abgeworfen. Nordallianz-Soldat mit Fernglas. Jeden Tag dasselbe.“ Ihre Miene hellt sich auf, als ein schicker afghanischer Politiker ins Bild kommt: „Ach, mein geliebter Abdullah Abdullah. Der einzige Afghane, der jemals im eleganten Dreiteiler gesehen wurde.“ Sabine Rieden kennt die Menschen, deren Bilder sie verarbeitet, recht gut, denn sie beobachtet sie täglich in den ungeschnittenen Filmbeiträgen. Mal hat einer Augenringe, dann geht's ihm wohl nicht so gut an diesem Tag. Auch Sympathien und Antipathien zwischen zwei gefilmten Politikern meint Rieden erkennen zu können.
Wenn man das, was geschieht, nicht sehen kann, weil es niemand gefilmt hat, hat Sabine Rieden, hat das Fernsehen, ein Problem. Oder wenn es nur Propagandabilder gibt. „Seit dem letzten Golfkrieg haben wir die Renaissance des Konjunktivs“, sagt Warken über jene Zeit, als die Medien die US-Militärzensur diktieren ließen, was sie vom Krieg gegen den Irak zeigen durften.
Vermittlen die Bilder ein einseitiges Bild? Sind sie neu? Sind sie aussagekräftig? Heute entscheidet Sabine Rieden: es reicht nicht. Doch der Schlussredakteur Reinhard Schönbrunn ist da anderer Meinung.
Denn gerade sind neue Bilder hereingekommen aus Tora Bora: Ein Mann mit Gewehr auf der Schulter geht in einen Unterschlupf, von innen wird gefilmt, wie er wieder herauskommt. „Was ist daran interessant?“, fragt Sabine Rieden. „Das sieht aus wie eine Garage.“ Der Kollege lenkt ein. Dann also nur eine kurze Zusammenfassung. Und wenn die Amerikaner das Bin-Laden-Video heute doch noch veröffentlichen, wird wohl auch die gekippt. Fast sieht es so aus, als habe Sabine Rieden heute nichts mehr zu tun, da kommt, kurz nach 17 Uhr, eine neue Nachricht: Es hat wieder einen Anschlag in Israel gegeben. Sabine Rieden soll sich darum kümmern. Mittlerweile arbeitet die gesamte Redaktion im Warken-Tempo. Es gibt noch keine Bilder aus Israel, also bestellt Rieden zunächst eine Karte bei der Grafikabteilung. Dann telefoniert sie mit dem Korrespondenten Alexander von Sobeck in Tel Aviv. Er referiert die Ereignisse, die Toten und Verletzten. Ein Bus ist am Ausgang einer israelischen Siedlung auf eine Sprengfalle gefahren und von einer Gruppe Bewaffneter beschossen worden. „Das nimmt hier langsam eine neue Qualität an. Das war eine geradezu militärisch geplante Aktion“, kommentiert von Sobeck die Situation. „Seien sie vorsichtig mit dem Wort Qualität“, mahnt Rieden. Gemeinsam mit einer Kollegin verfasst sie den Text, der später in den Nachrichten verlesen werden soll: „Beobachter sprechen von einer militärisch geplanten Aktion.“
18.45 Uhr. Noch eine Viertelstunde bis zum Sendungsbeginn. Immer noch keine Bilder aus Israel. Dafür meldet n-tv, die Amerikaner wollten bald das Bin-Laden-Video veröffentlichen. Bettina Warken ruft Kommandos, schmeißt noch eine Meldung heraus, entwirft mit Schlussredakteur Schönbrunn alternative Sendungsabläufe, je nach Lage, notiert die Nachrichten der Konkurrenz. Sabine Rieden verschwindet mit einem Kollegen in einem Studio. Von dort aus soll dieser, wenn doch noch Bilder aus Israel kommen, live den Text dazu sprechen. Und da kommen die Bilder aus dem Euro-Pool: Verletzte des Anschlags werden abtransportiert. Kommt auch das Bin-Laden-Video?
Wo bleibt Bin Laden?
19 Uhr. Die Sendung beginnt. Auf über 70 Monitoren verfolgen Regisseur Klaus Jürgen Steinhorst und seine Mitarbeiter, was gerade läuft und das, was noch laufen soll. Auf vier Monitoren sind Korrespondenten zu sehen, die auf ihren Einsatz warten. „Herr Kerner, die rechte Schulter ein bisschen vor bitte. Danke“, dirigiert Steinhorst den Sportreporter in Osnabrück. Der Berliner Korrespondent Peter Frey soll über das Kalifatsstaat-Verbot berichten. Alexander von Sobeck, voll konzentriert, wird als erster auf Sendung gehen, um über die Gewalt in Israel zu sprechen. Eberhard Piltz sitzt in Washington und weiß noch nicht, ob er überhaupt zum Zug kommt: das Bin-Laden-Video ist immer noch nicht da. Kommt es noch? Nein. „Herr Piltz, vielen Dank“, sagt Steinhorst, und Piltz erhebt sich. Aber die Redaktion überlegt es sich noch einmal anders. „Herr Piltz, bitte sitzen bleiben.“ Piltz setzt sich wieder. Kalifatsstaat verboten, Anschlag Westjordanland, Tora Bora, der Streit um das Transportflugzeug A 400 M, Moderatorin Petra Gerster nimmt einen Schluck Wasser während der Bericht läuft, Tod nach dem Brechmitteleinsatz, Rodel-Weltcup, Johannes B. Kerner live aus Osnabrück, oh, Herr Piltz wartet immer noch, „Danke, Herr Piltz.“, Piltz geht, die Lottozahlen, „Danke.“, sagt Regisseur Steinhorst. Das waren die Nachrichten.
Nach der Sendung versammelt Schlussredakteur Schönbrunn das gesamte Team. Im Kreis stehen sie um seinen Schreibtisch und lauschen seiner Kritik. Er ist zufrieden. Handwerklich sei die Sendung gut gewesen, auch technisch. Und bei Herrn Piltz habe er auch schon angerufen und sich bedankt.
Sabine Rieden mag ihren Beruf. „Ich kann den Zuschauern ein Angebot machen und selbst entscheiden“, sagt sie. „Ich kann das Bedürfnis der Menschen erfüllen zu erfahren, was geschieht. Und am Abend ist die Arbeit getan.“
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