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„Einer unserer Jungs“

Beim Begräbnis des Autors Stefan Heym auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee erinnern fast alle Redner an seine Religiosität – und an seinen uneingelösten Traum: ein sozialistisches Deutschland

von PHILIPP GESSLER

Vor gut zwei Monaten war Stefan Heym mit anderen ehemaligen Kommilitonen von der Humboldt-Universität eingeladen: alles alte, ja uralte Damen und Herren, die in der Nazizeit von der Hochschule relegiert oder verdrängt wurden, fast durchweg waren es Juden. Bei einer Pressekonferenz brach der große Autor mit ironischem Ton die beinahe weihevolle Stimmung, die sich angesichts der Prominenz und der Schicksale der Versammelten breit machen wollte: „Nicht sehr schön“, sähen sie alle mittlerweile aus, sagte der 88 Jahre alte Schriftsteller. Überlebende seien sie eben alle, die nach den Plänen der Nazis „als ein leichtes Rauchwölkchen im Himmel über Auschwitz“ enden sollten.

Der Himmel ist weiß von Schnee. Vor dem Jüdischen Friedhof in Weißensee, dem größten Europas, sind Polizeiautos aufgefahren. Die Polizisten lassen keine Fotografen oder Kameraleute in die gelb-beige Trauerhalle aus Klinker, und so dringen von dort – angemessen für einen Schriftsteller – keine Bilder in die Medien. Nur Worte.

Unter den 500 Trauergästen stehen bekannte Gesichter dicht gedrängt. Kollegen Heyms sind darunter wie Christoph Hein, Gerhard Wolf und Ulrich Plenzdorf, aber auch politische Prominenz: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die Kultursenatorin Adrienne Goehler und der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU). Vor allem aber ist die ganze PDS-Spitze erschienen, darunter die Parteivorsitzende Gabi Zimmer, ihr Vorgänger Lothar Bisky – und der Star der Partei, Gregor Gysi.

Der Senator in spe redet als erster (s. unten) – und erwähnt dabei nur einmal, was diese Trauerfeier so stark bestimmt: den Umstand, dass der Verstorbene Jude war: Traditionelle liturgische Lieder und Gebete in Hebräisch und Jiddisch prägen das Gedenken. Nur wenige der Anwesenden können mitbeten. Der Religionswissenschaftler Walter Beltz, Berater und Freund des Autors, betont diese jüdische Identität Heyms, erinnert an die Gespräche mit ihm über alte biblische Gestalten, über das ewige Leben und seine Religion. Zugleich schildert er Heyms Traum von einem sozialistischen Deutschland. „Träume können nicht begraben werden“, sagt er, „von Stefan kann man nicht Abschied nehmen.“

Auch Rabbiner Chaim Rozwaski von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hebt die religiöse Seite Heyms hervor: „In der Tiefe seiner Seele war er ein Jude“, sagt der Geistliche. Sein literarisches Leben habe der Autor mit einer Magisterarbeit über Heinrich Heine begonnen, beendet habe er es mit einem Vortrag über den gleichen Klassiker – bei einer Heine-Tagung in Israel, wo Heym verstarb. Und wie eine Tante des Verstorbenen Heine „einen unserer Jungs“ genannt habe, so sei auch Heym „einer unserer Jungs“: „Er war Mitglied unseres Volks.“

Mit bebender Stimme trägt Heyms Sohn Stefan einige Sätze seines Vaters vor – geschrieben, um an seiner Beerdigung vorgelesen zu werden: „Freut euch, dass die Sonne scheint“, heißt es in diesem kurzen Text. Ein letztes Gebet für „Stefan Ben Daniel Heym“, dann wird der Sarg hinaus auf den schneebedeckten Friedhof gezogen. In einer langen Menschenschlange folgt die Trauergemeinde dem Sarg. Auf dem Weg zum offenen Grab im „Feld Z“ singt der Kantor Trauerlieder. Kaum etwas anderes ist zu hören, nur knirschende Schritte auf dem frisch gefallenen Schnee. Vor der ausgehobenen Grube spricht Rabbiner Rozwaski letzte Gebete. Auf Deutsch bittet er Gott darum, die Seele des Verstorbenen aufzunehmen.

Kanzler Schröder ist einer der Ersten, der ein wenig Erde auf den herabgelassenen Sarg wirft – ein dumpfes Geräusch ist zu hören, als sie die Sargplatte trifft. Die Trauernden stehen an, um Heyms Frau Inge zu kondolieren. Gysi gibt ihr die Hand, umarmt die Witwe, flüstert ihr etwas zu. „Ich kann das alles noch nicht richtig realisieren“, sagt Inge Heym mehrere Male. Er habe unbedingt nach Israel gewollt, jetzt sei er dort gestorben. Erst in der vergangenen schlaflosen Nacht habe sie seine selbst verfassten Abschiedsworte gefunden, die Heyms Sohn eben vorgetragen hat. „So hat er sich das gewünscht“, sagte Inge Heym zu Freunden. Sie dankt dem Rabbiner und Kantor, als die sich verabschieden. Ihr Mann hätte sich „sehr gefreut“, wenn er dieses Begräbnis erlebt hätte, sagt sie noch. „Er hat es erlebt.“

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