piwik no script img

Keine normalen Arbeitszeiten

Der Euro bedeutet vor allem für die Beschäftigten im Einzelhandel Überstunden. Viele Banken haben Urlaubssperren für ihre Mitarbeiter verhängt. Nur die Inhaber kleiner Läden sehen die Umstellung auf das neue Bargeld gelassen

Friedrich Kauffmann sieht der Umstellung auf das Eurobargeld gelassen entgegen: Der Fotofachhändler will die Preisschilder in seinem kleinen Laden am Berliner Bahnhof Friedrichstraße erst an Silvester ändern – in aller Ruhe während der Öffnungszeit. Was sonst an Mehrarbeit anfalle, „machen wir als Familie abends oder in weniger drängenden Zeiten“, meint Kauffmann.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di befürchtet da größere Probleme. Vorstandsmitglied Franziska Wiethold warnt vor einer „wahnwitzigen Situation“ für die Beschäftigten im Einzelhandel. Durch die Selbstverpflichtung der Geschäfte, als Wechselstube zu fungieren und bis Ende Februar D-Mark anzunehmen, aber nur noch Euro herauszugeben, werde sich ab dem 2. Januar die Dauer der Kassiervorgänge mindestens verdoppeln, schätzt sie. Viele Unternehmen werden deshalb alle Kassen öffnen, um Warteschlangen möglichst zu vermeiden.

Schon derzeit würden die Angestellten des Einzelhandels zusätzlich zum Weihnachtsgeschäft durch Schulungen zum Umgang mit dem Euro belastet, meint Wiethold. Da wegen der Euro-Einführung auch die sonst übliche Möglichkeit entfällt, die aufgelaufenen Überstunden im Januar und Februar abzubauen, drohe die Lage „ziemlich dramatisch“ zu werden. Der Handel habe für die Umstellung „im Prinzip nicht mehr Personal“ eingestellt. Dadurch schöben viele Angestellte eine „gigantische Bugwelle an Überstunden“ vor sich her.

Solche Vorwürfe lässt Detlef Steffens nicht gelten. Mehrarbeit habe es vor allem durch die doppelte Auszeichnung der Preise in D-Mark und Euro gegeben, sagt der Geschäftsführer des Kaufhofs am Berliner Alexanderplatz. Die aber hat schon im März begonnen und ist längst abgeschlossen. Euro-Schulungen bis kurz vor Weihnachten seien allerdings unvermeidlich gewesen. Sonst drohten die Kenntnisse über Sicherheitsmerkmale der Münzen und Scheine wieder verloren zu gehen.

Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels sieht keine größeren Probleme für die heiße Phase der Euro-Einführung. Urlaubssperren könnten nach Einschätzung von Geschäftsführer Hubertus Pellengahr vor allem im Lebensmitteleinzelhandel nötig sein. Die größte zusätzliche Belastung werde aber bereits nach wenigen Tagen vorbei sein, ist er überzeugt.

Zumindest bei den Banken wird die Arbeit jedoch „nicht immer in den normalen Arbeitszeiten zu bewältigen sein“, räumt der Geschäftsführer beim Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes, Heinz-Dieter Sauer, ein. Die Berliner Commerzbank etwa hat bei den Angestellten sicherheitshalber „alle Reserven mobilisiert“, sagt der Eurobargeld-Koordinator des Geldhauses, Thomas Pattri. Bis Mitte März sei deshalb eine Urlaubssperre verhängt worden. Wenn sich herausstelle, dass der eurobedingte Kundenansturm schnell vorüber sei, könne man kurzfristig immer noch über Lockerungen entscheiden. DPA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen