: Euro ist des Räubers Feind
Die Einführung des Euros bedeutet für die Tunnelgangster vom Schlachtensee das Ende ihrer Träume. Die Millionenbeute lässt sich an keinem Bankschalter eintauschen – da hat die Polizei vorgesorgt
von PLUTONIA PLARRE
Es war der größte Coup in der deutschen Kriminalgeschichte: Am 27. Juni 1995 stürmen vier maskierte Männer in eine Filiale der Commerzbank im Berliner Nobelviertel Schlachtensee. Unter Androhung von Waffengewalt werden 16 Männer und Frauen als Geiseln genommen. Der Filialleiter wird mit Schlägen gezwungen, zu verhandeln. Die Forderung: 17 Millionen Mark Lösegeld, einen Hubschrauber und einen Fluchtwagen. Was die Polizisten nicht wissen: Die Gangster haben zuvor in monatelanger klandestiner Schwerstarbeit einen 170 Meter langen Tunnel von einer Garage zur Bank gegraben.
Während die vier Täter oben in der Bank zum Schein einen Fluchtwagen anfordern, wühlen sich zwei weitere Komplizen durch den Untergrund in den Keller und räumen im Tresorraum die Schließfächer leer. Derweil übergibt ein nur mit Badehose bekleideter Polizist oben vor der Bank 5,6 Millionen Mark Lösegeld. Die Täter verlangen mehr. Niemand ahnt, dass das Geld unten in der Bank in Säcke abgefüllt und auf Skateboards durch den Tunnel in die Garage abtransportiert wird.
Um zwei Uhr nachts – die Polizei ist fieberhaft damit beschäftigt, die Forderungen zu erfüllen – wird es still in der Bank. Die Gangster haben ihre Geiseln gefesselt und sind durch den Tunnel entkommen. Eine Stunde später kann sich eine der Gefangenen befreien. Das Sondereinsatzkommando der Polizei stürmt die Bank – zu spät.
Für eine fette Beute von 16 Millionen Mark kann man das Risiko eingehen, ein paar Jahre im Knast einsitzen zu müssen, dachten sich wohl die Tunnelgangster. Auch wenn sie erwischt würden, das große Geld werde im sicheren Versteck geduldig auf sie warten. Dass der Traum vom Millionärsleben unter Palmen ausgerechnet durch die Einführung des Euro zunichte gemacht werden sollte, damit hatte offensichtlich keiner der raffinierten Panzerknacker gerechnet.
Die Sonderkommission „Coba“ fahndet fünf Wochen mit Hochdruck nach der Bande. Dann schnappen die Handschellen zu. Neun Millionen Mark von der Beute – die auf mindestens 16,3 Millionen Mark geschätzt wird – sind bis heute verschwunden. Wie viel Geld es wirklich war, vermag die Kripo nicht zu sagen. Die Beamten vermuten, dass in den Schließfächern der reichen Schlachtenseer mehr lagerte, als von den Eigentümern offiziell angegeben.
Die Geldräuber wurden zu Haftstrafen zwischen 8 und 13 Jahren verurteilt. Die ersten von ihnen werden im Jahr 2003 wieder frei sein. Vermutlich werden sie dann genauso viel auf dem Konto haben wie vor dem Bruch. Denn wenn sie ihre Beute in deutschen Landen in barer Münze versteckt oder vergraben haben, sind die alten Mark nurmehr von Recyclingwert.
Nach dem 28. Februar 2002 können DM-Beträge nur noch bei der Landeszentralbank umgetauscht werden. Bei Summen über 30.000 Mark (ca. 15.000 Euro), muss sich der Kunde zudem ausweisen. „Wenn der Verdacht der Geldwäsche besteht, ist das Kreditinstitut verpflichtet, Anzeige zu erstatten“, sagt Kriminalhauptoberrat Stefan Pietsch, der im Landeskriminalamt die Finanzermittlungen leitet.
Dass im Zuge der Einführung des Euro noch große Markbeträge auftauchen könnten, die aus Raubüberfällen stammen, glaubt die Kripo ohnehin nicht. „Von dieser Vorstellung muss man sich frei machen“, rät der Inspektionsleiter für Raubtaten, Manfred Schmandra. Kein Bankräuber werde so dämlich sein, die Beute ausgerechnet am Schalter umzutauschen. „Es gibt genug andere Wege“, sagt Schmandra. Oder würde etwa ein Autohändler Anzeige erstatten, wenn ein Kundeden Porsche in bar bezahlt?
Abgesehen von dem Überfall auf die Commerzbank in Schlachtensee und dem auf eine BFC-Bank im Wedding, bei dem 1998 eine Million Mark verschwanden, seien in Berlin in den vergangenen Jahren keine nennenswerten Summen gestohlen worden. „Bankraub lohnt sich nicht mehr“, sagt Schmandra. Aufgrund der automatischen Kassentresore seien kaum mehr als vierstellige Beträge zu rauben. Dagegen seien Überfälle auf Supermärkte – so genannte Tresortaten – nach wie vor hoch im Kurs. In diesem Jahr waren es ebenso wie im Vorjahr 96. Auch hier sei selten mehr 20.000 Mark zu holen.
Trotzdem hat die Polizei eigenen Angaben zufolge umfangreiche Vorbereitungen getroffen, um Geldwäschern im Zuge der Eurobargeldeinführung das Handwerk zu legen. Im Visier habe man dabei Drogenhändler, organisierte Kriminelle und Steuerhinterzieher, sagt Finanzermittler Pietsch. Die Bekämpfung von Geldwäsche sei aber „ein extrem schwieriges Geschäft“. Um Straftäter am Bankschalter als solche identifizieren zu können, sei „ein besonderes kriminalistisches Know-how“ notwenig. „Wir haben versucht, die Banken darauf einzustellen“, erklärt Pietsch. Den Bürgern werde geraten, nur eigenes Geld zu tauschen. Verstärkte Kontrollen von Zoll und Bundesgrenzschutz sollen zudem verhindern, dass illegales Geld ins Ausland geschafft werde.
Bei der Einführung des Euro gilt für die Polizei insgesamt Alarm. Im Januar und Februar, wenn mit dem Euro und der Mark doppelt so viel Geld in den Ladenkassen klimpert, rechnen die Beamten mit mehr Überfällen. Das gelte auch für Überfälle auf Geldtransporter. Die bereiten dem Kommissar wenig Sorgen. „So ein Sparschwein ist schwer zu knacken.“
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