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Der fliegende Kuchenbäcker

Sven Hannawald hat die Unbilden des vergangenen Winters bewältigt, gewinnt das Auftaktspringen der Vierschanzentournee und lässt auch den großen Favoriten Adam Malysz deutlich hinter sich

aus Oberstdorf KATHRIN ZEILMANN

Mit 27 noch Teenie-Schwarm zu sein, das kann nervig sein oder einen mit Stolz erfüllen. Skispringer Sven Hannawald weiß nicht recht, wofür er sich entscheiden soll. „Ich freue mich über jeden Fan, egal wie alt“, sagt er einerseits, andererseits wird es dem Single dadurch erschwert, die Frau fürs Leben zu finden: „Die meisten Mädchen an den Schanzen sind noch viel zu jung“, gestand er der Bunten. Und hat auch gleich angefügt, dass er zu Victoria Beckham nicht Nein sagen würde. Aha.

So viel zu den privaten Problemen und Problemchen Hannawalds, die sportlichen Schwierigkeiten hat er mittlerweile überwunden. In Titisee-Neustadt feierte er Anfang Dezember nach 20 Monaten wieder den ersten Weltcupsieg, bei der Vierschanzentournee ging er als deutsche Nummer eins an den Start. Diesen Status rechtfertigte er gestern in eindrucksvoller Manier, als er das Auftaktspringen in Oberstdorf mit zwei Sprüngen von 122 Metern vor dem Österreicher Martin Höllwarth (115/129) und dem Schweizer Simon Ammann (119/120) für sich entschied. Enttäuschend verlief der Tag für den Topfavoriten Adam Malysz, der lediglich Fünfter wurde, und für Martin Schmitt, der auf den 19. Rang kam.

Müde und ausgelaugt hatte sich Hannawald im vergangenem Winter schon früher als die anderen in den Urlaub verabschiedet. „Es lief überhaupt nichts mehr. Und dann habe ich gemerkt, dass ich mich auch menschlich verändert hatte. Ich war launisch und aggressiv, das ist normalerweise überhaupt nicht meine Art. Ich musste einfach raus.“ Dem Geldgeber gefiel das nicht sonderlich. „Ich hätte vorher mit der Sponsorenseite drüber reden können. Aber es war eine Bauchentscheidung“, sagt der Wahlschwarzwälder. Die Brauerei Warsteiner wollte ihr Logo nicht mehr auf dem Helm des Erfolglosen sehen, nun ziert der Mobilfunkanbieter Quam Hannawalds Kopf.

In der verkorksten letzten Saison wurden auch wieder die Gerüchte um Magersucht laut, die Hannawald bereits 1997 fast an das Ende seiner sportlichen Laufbahn gebracht hatten. „Ich hatte einfach nur die Härte des Trainings unterschätzt, zu wenig gegessen und einige Kilo abgenommen. Außerdem hatte ich einen Virusinfekt“, rechtfertigt er sich heute, mit fünf Kilo mehr auf den Rippen. Mutter Hannawalds „super gutes Essen“ habe ihn wieder aufgepäppelt, verkündet er frohgemut. Vielleicht ja auch seine eigenen Kuchen? Er sei nämlich, so erklärt er des öfteren, ein begnadeter Kuchenbäcker. Das Rezept für Birnen-Schmand-Kuchen findet sich auf seiner Homepage, und nach eigenen Angaben freut er sich „riesig“ über die vielen Muffinsrezepte, die ihm seine Fans zukommen lassen.

Ja, so hat es damals bei der Vierschanzentournee 1997/98 begonnen: Gebürtiger Erzgebirgler mit strahlenden Augen und einem fast gemeißeltem Lächeln, den viele schon abgeschrieben hatten, erobert plötzlich die Weltelite. Im Trachtenjanker nahm er damals die Gratulationen des Hinterzartener Bürgermeisters entgegen und ließ sämtliche Fernsehteams seine blitzsaubere 36-Quadratmeter-Wohnung filmen, wo als Markenzeichen des Kuchenbäckers ein Mixer an der Wand hing.

Aber so idyllisch ist es im Sport nicht, vor allem wenn nur ein Jahr später ein Martin Schmitt auftaucht, der von den Fans mit mindestens ebenso viel Liebe überschüttet wird. Seitdem blieb Hannawald manchmal nur noch die Rolle des Pausenclowns neben dem erfolgreichen Teamkameraden. Ein professionelles Management sollte Abhilfe schaffen und aus dem Schanzenschönling einen Millionär machen. Das wäre auch fast gelungen, wenn da nicht plötzlich die sportliche Misere gekommen wäre. Da war es dann wieder: das Gespenst vom magersüchtigen Springer mit massiven psychischen Problemen.

„Ach, das ist jetzt alles wieder vorbei“, bekundet Hannawald demonstrativ. Und seine Fans hat das sowieso nie gestört, sie mögen „Hanni“ immer noch.

Die Sache mit dem Springen funktioniert ja auch wieder. Entspannt und ruhig hat er die Vierschanzentournee in Angriff genommen. „Ich weiß ja, was ich drauf habe. Mit den bisherigen Ergebnissen im Rücken springt es sich hier leichter.“ Einige Kilometer entfernt von Oberstdorf, in der Abgeschiedenheit des „Allgäuer Bergbades“, hat sich die deutsche Mannschaft dem Rummel der Tournee, so gut es ging, entzogen. Denn für die Suche nach der Traumfrau ist während der Vierschanzentournee nun wahrlich keine Zeit.

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