: Haste mal ‘ne Neue Heimat?
Für eine Mark hätte man eine Menge kaufen können: Werften, Schlösser, Schienennetze. Diese Chance ist jetzt unwiderruflich vertan
Haste mal ’ne Mark? Ja, natürlich, jeder hat irgendwie eine Mark. Nur: Was kann man schon mit einer Mark anfangen? Jede Menge. Schon erstaunlich, was einem alles so entgangen ist in den letzten 50 Jahren: Schlösser, Werften, sogar ganze Firmen. Was gab’s für eine Mark? Die Antwort ist auch ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte.
Wie viele Brötchen der Berliner Brotfabrikant Horst Schiesser in seinem Leben schon backen ließ, ist nicht bekannt. Bekannt ist dagegen, dass Schiesser mal ein richtig großes Brötchen backen wollte – ein besonders billiges noch dazu. Eine symbolische Mark bezahlte der Brotfabrikant am 18. September 1985 für das gewerkschaftseigene Wohnungsbauunternehmen Neue Heimat. Die Schulden des Konzerns wurden auf 17 Milliarden Mark geschätzt. Doch Schiessers Neue Heimat währte nur 43 Tage. Die Gläubigerbanken misstrauten seinem Sanierungskonzept und setzten den DGB unter Druck, das Unternehmen zurückzukaufen. Schiesser sah von seinem Kaufvertrag ab, was ihm mit einer Millionenabfindung versüßt worden sein soll.
1990 wollte Schiesser sogar für einen nicht näher bezeichneten Milliardenbetrag die gesamte DDR-Wirtschaft übernehmen. Aber auch das scheiterte. Schiesser musste sich mit fünf Unternehmen der ostdeutschen Backwarenbranche zufrieden geben.
Haste mal ein Schloss?
Graf Hubertus von Klot-Trautvetter hatte es eilig. Gleich nach der Wende kehrte er auf das Schloss seiner Eltern in Mecklenburg-Vorpommern zurück. Dem Bürgermeister des Dorfes nördlich von Stralsund legte er den Kaufpreis für das klassizistische Ritterschloss auf den Tisch: eine Mark. Sechs Millionen Mark musste der Graf dagegen für die Renovierung des heruntergekommenen Schlosses seiner Eltern berappen. Und auch das Land um Schloss Hohendorf kam den Grafen teuer. Die damalige Kohl-Regierung hatte ihm eine Ausgleichszahlung von 400.000 Mark angeboten, zugleich aber 700.000 Mark für das Land verlangt. Blieben 300.000 Mark aus der eigenen Tasche. Der Schlossherr ist auf das Hotelgeschäft angewiesen, um den Kredit abzuzahlen.
Haste mal ’nen Faden?
„Treuhand“ war ein recht vertrauensseliger Name, der sich allerdings rasch in sein Gegenteil verkehrte. Als Plattmacher wurde die Anstalt in Ostdeutschland beschimpft. Und das wiederum hat mit den so genannten Eine-Mark-Verkäufen zu tun. Ein besonders krudes Kriminalstück boten 1991 zwei indische Brüder namens Dalmia. Diese kauften über ihr Unternehmen Twentyfirst Century Oil (TFC) die Firmen Thüringische Faser und Sächsische Seide – zum symbolischen Kaufpreis von jeweils einer Mark. Sie garantierten den Erhalt von mehr als tausend Arbeitsplätzen und Investitionen von 150 Millionen Mark. Ein Markstein der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen, wie Bundeskanzler Helmut Kohl meinte. Doch der Markstein entpuppte sich als Gaunerei: Die TFC verfügte über keinen Pfennig Geld. Die Brüder Dalmia jedoch kassierten eine Starthilfe von 40 Millionen Mark.
Haste mal eine Schiene?
Bahn-Chef Hartmut Mehdorn wollte nicht länger „warme Luft durch die Republik“ fahren und daher 262 Nebenstrecken still legen. Die Botschaft der Bahn AG, die sich lieber auf ihr Hochgeschwindigkeitsnetz konzentriert, war klar: Wer Nahverkehr will, muss ihn selbst organisieren. Allerdings kam die Bahn ihren Nachfolgern entgegen: Die Württembergische Eisenbahn-Gesellschaft (WEG) betreibt heute sechs Linien – etwa die Wieslauftalbahn zwischen Schorndorf bei Stuttgart und Rudersberg. Die WEG hat die Strecke für eine Mark von der Bahn übernommen, das Netz wurde vorher von der Bahn sogar noch für sechs Millionen Mark modernisiert. Heute ist die Strecke ein Vorzeigemodell für Wirtschaftlichkeit: Bei weit geringeren Personalkosten als noch zu Deutsche-Bahn-Zeiten haben sich die Fahrgastzahlen verfünffacht.
Haste mal Hanns Porst?
Der Pleitegeier hat keinen Respekt vor Traditionen. 1919 gründete Hanns Porst in Nürnberg sein erstes Fotofachgeschäft – und zehn Jahre später galt Photo Porst bereits als „größtes Fotohaus der Welt“. Und? Was hat’s gebracht? Nichts.
In diesem Jahr wurde das kränkelnde fränkische Familienunternehmen mit 2.050 Geschäften und 4.000 Mitarbeitern vorerst gerettet, vom Internetunternehmen PixelNet, für eine Mark. Die am Neuen Markt notierte 30-Mann-Firma setzt auf digitale Fotografie und sieht darin auch die Zukunft von Photo Porst.
PixelNet bietet seinen Kunden die Möglichkeit, Fotografien einzuschicken und diese in digitaler Form auf CD zurückzubekommen. Zugleich hat das Unternehmen PixelNet aber auch erkannt, dass viele Kunden „ihre Fotoerinnerungen nicht verschicken wollen“, sondern diese „lieber einer leibhaftigen Person in die Hand drücken“. Für diese Art von Leibhaftigkeit sollen nun die vielen Photo-Porst-Filialen sorgen.THILO KNOTT
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