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Fröhliches Euro-Chaos

Der erste Werktag mit neuer Währung: Irrational in den Banken, unkonventionell in den Geschäften  ■ Von Annette Kohlmüller

„D-Mark oder Euro?“ Die meistgestellte Frage am ersten Werktag der größten Währungsumstellung aller Zeiten provozierte vor allem drei Reaktionen: Ein stolz vibrierendes „Euro“ von denen, die bereits die neuen Scheine in der Tasche hatten, ein muffeliges „D-Mark“ derer, die allen Neuerungen skeptisch gegenüber stehen, oder eine wortlos vorgezeigte EC-Karte. Lautes Schimpfen und größere Diskussionen blieben an den Kassen der Hamburger Einzelhändler die Ausnahme.

Dafür sorgte das – zumindest in den größeren Supermärkten – gut geschulte Personal. „Wir haben an Neujahr ein Sektfrühstück veranstaltet und unsere Mitarbeiter dabei für die Euro-Umstellung fit gemacht“, erzählt Bernd Junius, Inhaber des Sparmarktes im Ottenser Mercado. Ob aufgrund des Restalkohols oder der zusätzlichen Pausen, die die KassiererInnen am Euro-Tag machen durften – auf jeden Fall wirkten alle sehr entspannt. Damit auch gar nichts schief gehen konnte, wuselten Junius und sein Partner den ganzen Tag zwischen den Kassen hin und her, um reklamierenden Kunden die neuen Preise höchstpersönlich vorzurechnen.

Ähnlich friedlich ging es in den meisten Hamburger Läden zu. Beim „Altonaer Stadtbäcker“ warteten die Käufer geduldig auf ihre Sahnestückchen, während die Inhaberin die neuen Preisschilder malte und ihre Angestellte der Bedienung der Registrierkasse kämpfte. Evelyn Goltermann vom Buch- und CD-Laden „Zardoz“ erleichterte sich die Umrechnung mit handgeschriebenen Spickzetteln und zwei verschiedenen Kassen: D-Mark wanderten in die eine, Euro in die andere. „Wir hätten erwartet, dass die Leute genervter sind“, berichtet sie. „Aber die meisten sind eher rührend. Da kommen kleine Mädchen und zahlen mit zehn Mark eine Postkarte für 1,50 Mark, um ihre Euro zu kriegen.“

Diejenigen allerdings, die ihr Geld gestern in größerem Maßstab in den Banken tauschen wollten, mussten dort bis zu zwei Stunden warten. „Wir haben 400 Prozent mehr Andrang als gewöhnlich“, sagt Heinz Düsing, Leiter einer Haspa-Filiale. Obwohl er zusätzliches Personal eingestellt hatte, war er vom Riesenandrang überrascht: „Die Leute können bis Ende Februar ihre D-Mark tauschen, aber sie wollen es unbedingt heute machen. Das ist doch nicht rational!“. Vor allem ältere Leute wollten klare Verhältnisse schaffen. „Schluss mit der der D-Mark, jetzt ist der Euro da“, lautete der Tenor unter den Schlangestehern. Besonders kundenfreundlich zeigte sich übrigens die Sparda. Um Tumulte zu vermeiden, verteilten die Angestellten goldene Schoko-Eurotaler an die Wartenden.

Wirklich im Stress waren die Busfahrer, deren Kassen bereits auf Euro umgestellt waren. Sie mussten neben dem Geldumtausch auch noch ihren Zeitplan im Auge behalten. „Mehr als 20 Mark habe ich nicht angenommen“, sagt Zbiniew Stopa, „ich bin doch keine Wechselstube.“ Eine Frau, die mit zwei Händen voller Pfennigstücke ihre Fahrkarte lösen wollte, hat er zur nächsten Bank geschickt. „Es gab auch so schon genügend Verspätungen“, erzählt er lachend.

In vielen kleineren Läden machten die Inhaber dagegen wenig Aufheben ums Wechseln. Wenn es zu voll wurde oder die Kunden darauf bestanden, verzichteten sie aufs umständliche Umrechnen und gaben das Rückgeld in D-Mark. „Viele wollten das so, da fange ich doch keinen Streit an, selbst wenn es eigentlich nicht mehr erlaubt ist“, erklärt ein Imbiss-Besitzer. Andere, wie der Bio-Markt „Achaldan“, rechneten an der Kasse nur noch in Euro ab. Wechseln ging im kleinen Umfang an der Brottheke. „Unsere Kunden haben sich schon darauf eingestellt“, erklärt Inhaber Reinhard Schwede kurzerhand. „Die müssen damit zurecht kommen.“

Fazit: Fröhlich chaotisch und erstaunlich unkonventionell ging es am ersten Euro-Tag zu. Sollte es der neuen Währung tatsächlich gelungen sein, der deutschen Klein-Krämerseele einen Hauch von Improvisationstalent zu vermitteln? Dann hätte der Euro immerhin schon einen Vorteil gebracht.

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