piwik no script img

Männer, die den Blues haben

„But Beautiful“: Geoff Dyer schreibt einen Roman über Jazzmusiker und neigt – na klar – zur Legendenbildung

Es gibt Bücher, die altern schnell und würdelos, und es gibt Coverfotos, die in die Irre führen. Hier wird der junge Chet Baker gezeigt und suggeriert – noch ein Buch über den Smoothjazz von gestern.

Doch der Titel „But Beautiful“ bezieht sich vor allem auf die tolle Musik, die in der angehängten Diskographie empfohlen wird. Dyers Geschichten drehen sich um seine Wahrnehmungen von Jazzmusikern und ihrer Musik. Dyer ist Jahrgang 1958, seine Helden hat er selbst nicht mehr kennen gelernt. Die Typen rekonstruiert er aus dem, was Fotos und Platten über die Menschen aussagen. Ob nun Charles Mingus, Thelonious Monk oder Lester Young – Dyer bedient sich aus der Schatztruhe biografischer Details und setzt sie neu zusammen. Aus Sachgeschichten macht er Literatur, man ist sich nie ganz sicher, ob die Zitate, die er den einzelnen Musikern in den Mund legt, auch authentisch sind.

Dyers prämierter Roman „But Beautiful“ ist zehn Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung jetzt in deutscher Übersetzung erschienen. Dyer verarbeitet darin Anekdoten und Interviewmaterial über Jazzmusiker zu scheinbar zeitlosen Märchen. Die auffallendste Gemeinsamkeit seiner Protagonisten ist ihr durch Drogen- und Alkoholexzesse beschleunigter, früher Tod.

Leider handelt „But Beautiful“ von den Schattenseiten des Jazzlebens. Archie Shepp hat mal gesagt, wenn Jazzmusiker nicht ständig gezwungen worden wären, ihr materielles Überleben zu sichern, hätte die Musik noch viel mehr kreativen Input erlebt. Bei Dyer aber kommt der Mangel im wirklichen Leben als stilbildendes Moment der Musik daher.

Dyer begleitet Duke Ellington fiktiv auf unendlichen Autofahrten durch die amerikanische Ödnis, von einem Tourstopp zum nächsten, man meint sie förmlich zu riechen, die Langeweile des permanenten Unterwegsseins. Dyer beschreibt, wie der afroamerikanische Saxophonist Lester Young beim Militär von einem weißen Vorgesetzten misshandelt wird. Bevor ihm die Zähne ausgeschlagen wurden, sah der weiße Trompeter Chet Baker auf Bill Claxtons Fotos noch einem Sexsymbol ähnlich. 1964, kurz nach seinem 36. Geburtstag, stirbt der afroamerikanische Avantgardist Eric Dolphy in Berlin, Charles Mingus komponiert „So long, Eric“. Dyers Buch handelt von Männern, die Balladen lieben und große Kullertränen weinen. Davon, dass Jazz zum Fluch für die werden kann, die ihn spielen. Und von Musikern, die Köpfe wie Schubladen haben – vollgestopft mit Absichten und Fragmenten.

Natürlich spart auch Dyer nicht mit Kraftausdrücken, er nutzt das Spiel mit den Codes der Szene. Wer „Wichser“ oder „verfickte Hundemuschi“ sagt, muss es nicht gleich böse meinen. Na klar neigt Dyer zur Legendenbildung, er überlässt es den Jazzhistorikern, die Fakten zu ordnen. Problematisch wird Dyers Umgang mit Fakten dann, wenn sie nicht stimmen. Martin Luther King jr. schrieb zwar für die ersten Berliner Jazztage 1964 ein Grußwort, das auch im Programmheft abgedruckt wurde, und er traf in dem Jahr, in dem er den Nobelpreis erhielt und den Papst besuchte, auch Willy Brandt in Berlin. Dass er aber als Redner bei den Berliner Jazztagen auftrat, wie Dyer berichtet, ist nicht belegt. Es würde auch die Bedeutung, die King jr. dieser Musik zusprach, weit übertreffen.

Schwerer wiegt, dass Dyer ausgerechnet und wiederholt Adorno zitiert, um dem Jazz auch philosophisch Gewicht zu geben. Nur leider muss man sagen, dass er mit dem erklärten und mehrfach ausgewiesenen Jazzgegner Adorno nun wirklich einen Antagonisten bemüht. Doch zum Glück wird Adorno und dem Jazz nur im Nachwort Gewalt angetan, das wirkt peinlich und vielleicht ein wenig dumm, man kann es aber auch einfach überlesen, bei all den schönen Sätzen und Bildern, die Dyers Roman ausmachen.

CHRISTIAN BROECKING

Geoff Dyer: „But Beautiful. Ein Buch über Jazz“. Aus dem Englischen von Matthias Müller, Argon Verlag, Berlin 2001, 254 Seiten, 24,90 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen