Gesucht: Neue Gesichter

Das Personalkarussell dreht sich: Auf sozialdemokratischer Seite werden für neue Ämter alte Bekannte gehandelt, bei der PDS gibt es viele Fragezeichen. Ein Gerücht weist nach Italien.

von ROBIN ALEXANDER

Heute wird entschieden, wer Berlin in den nächsten Jahren regiert. Ab dem frühen Morgen treffen sich die Führungstrios der beiden Koalitionspartner in spe. Am Abend sollen dann die großen Verhandlungskomissionen von SPD und PDS die Entscheidungen ihrer Chefs abnicken. Am Wochenende, als Wowereit nach Berlin zurückkehrte und die PDS noch intern um eine Strategie rang, blühten die Spekulationen. Für solche Situationen hält die deutsche Sprache die Metapher „Personalkarussell“ bereit. Wir beginnen also langsam, gewinnen aber stetig an Fahrt und rotieren, dass es am Ende schwindelig werden wird.

Gesetzt ist natürlich Klaus Wowereit (48), der Regierende Bürgermeister. Und zwar so klar, dass er sein Amt im Postenpoker gar nicht mehr mitzählen wollte. Fünf Senatoren beanspruchte er also für die SPD, drei nur wollte er der PDS zugestehen. Vier Senatoren stehen ihnen zu, meinen aber die Dunkelroten. Den Streit um 4:4 oder 5:3 verdankt Berlin letztlich Klaus Böger (56). Auf seine Initiative verordnete sich Berlin dereinst eine Begrenzung der Senatorenzahl auf acht. Böger gilt auch für Rot-Rot als sicherer Kandidat, weil mit seiner Person der rechte Parteiflügel eingebunden wird. Vielleicht bekommt der Schulsenator sogar Wissenschaft und Forschung zugeschlagen und firmiert in Zukunft als „Bildungssenator“.

Und Gregor Gysi (53), die schillerndste Figur im neuen Kabinett? Selbst die eigenen Leute rätselten bis gestern, ob das Gesicht der PDS in Zukunft für die Wirtschaft oder die Kultur Berlins werben möchte. Ein Kultursenator Gysi könnte medienwirksam Verhandlungen mit der Bundesregierung führen, was diese angeblich schreckt. Eine „besondere Botschaft“ verbinde sich hingegen mit einem postkommunistischen Wirtschaftssenator. Ausgerechnet der PDS-Genosse, den Freund und Feind gleichermaßen reif für ein Senatorenamt halten, mag nicht: Harald Wolf (45), lange als sicherer Finanzsenator gehandelt, bleibt doch lieber Fraktionsvorsitzender, hieß es in den vergangenen Tagen. Alles nur eine Finte aus der Gerüchteküche der SPDler, die beim Gedanken an einen dunkelroten Oberhaushälter doch noch kalte Füße bekamen?

Wer aber soll dann den Kassenwart geben? Etwa Peter Strieder (49)? Dem SPD-Parteichef wird nachgesagt, er würde eher den Regierenden Bürgermeister und seine eigene Großmutter an die PDS abgeben, als sein geliebtes „Super-Ressort“ Stadtentwicklung, Bauen, Verkehr und Umwelt. Der letzte halbwegs sichere Tipp ist Ehrhart Körting (59), der sich als Innensenator hoher Anerkennung von Alternativen bis Konservativen erfreut. Außerdem: Ein PDSler als Dienstherr der Polizei kann man sich auch 2002 nicht vorstellen.

Wo bleiben die Frauen? Monika Griefahn (47) wurde schon vor Monaten ins Gespräch gebracht und blieb dort bis heute. Eine nachweisbare Favoritin Wowereits ist keine Sozialdemokratin: Bärbel Grygier (46), Berzirksbürgermeisterin für die PDS in Kreuzberg-Friedrichshain, hat der Regierende wieder und wieder bekniet, in sein Kabinett einzutreten. Grygier aber zöge lieber als Gysi-Ersatz in den Bundestag. Dagmar Pohle (48) aus dem Parteivorstand wurde früh als Senatorin für das sichere PDS-Ressort Arbeit und Soziales gehandelt. Das gleiche gilt aber auch für Carola Freundl (39). Sie hat allerdings erst vor kurzem den Fraktionsvorsitz niedergelegt, um sich der Erziehung ihres Kindes zu widmen. Außerdem gehört Freundl nicht zu den Favoriten von Gregor Gysi.

Für die Sozialdemokraten könnte Rosemarie Will (52) das Justizressort leiten. Das entspräche der sozialdemokratichen Tradition der Doppelquoten, denn die Jura-Professorin an der Humboldt-Uni stammt aus dem Osten. Mit den sozialdemokratischen Häuptlingen Wowereit und Strieder versteht sich Adrienne Goehler (46) gut. Die amtierende Kultursenatorin, ist angesehen und parteilos, war aber auf Vorschlag der Grünen im Übergangssenat. Ein parteiloses Senatsmitglied auf PDS-Ticket könnte dem ganzen Unternehmen Charme verleihen und gleichzeitig die strittige Arithmetik klären. „Für einen Knaller aus dem linken Spektrum ist die PDS immer gut“, prophezeit ein Mitglied des SPD-Parteivorstands. Seit der Nominierung Stefan Heyms für den Bundestag traut die Berliner SPD in dieser Hinsicht ihrer roten Konkurrentin alles zu. Der scheidende Rektor des Wissenschaftskollegs Berlin, Wolf Lepenies (60), wäre so eine Lösung. Geht nicht Kultur sondern Justiz an einen Parteilosen, gibt es andere Namen. Der frisch emeritierte Jurist Uwe Wesel (68) war schon im Gespräch als Justizsenator, ebenso Lore-Maria Peschel-Gutzeit (69, SPD), die diesen Posten bis 1997 schon einmal ausfüllte.

Dagegen wäre Lothar Bisky (60) geradezu ein Nachwuchskandidat. Der ehemalige PDS-Vorsitzende hat allerdings schon abgewunken. Bisky will sich nicht überreden lassen, Kultursenator zu werden. Auch für Thomas Flier (44), Gysi-Vertrauter, scheint diesmal doch kein Senatsposten drin.

Ein Gerücht ließ sich am Wochenende nicht aus der Welt räumen. Wowereit und Gysi, so hieß es in gut unterrichteten Karussellkreisen, wollten einen berühmten italienischen Semiotiker und Großintellektuellen als Aushängeschild für ihren sonst doch eher unspektakulären rot-roten Haufen gewinnen. Natürlich nur eine absurde Spekulation. Aber hat nicht Gysi im Wahlkampf Rom besucht und die „europäische Normalisierung“ à la Italien verlangt? Karibische Quellen berichten jedenfalls, der urlaubende Klaus Wowereit hätte sich einen Sonnenbrand geholt, so sehr habe ihn „der neue Eco“ als Strandlektüre gefesselt.