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Hardliner on air in Kaschmir

Die Himalajaregion ist in einen indischen und einen pakistanischen Teil gespalten. Im Medienkrieg der beiden verfeindeten Atommächte bestimmt jeweils der Staat, was gesendet wird und was nicht

von ROLAND HOFWILER

„Die Zunge hat keine Knochen, kann aber Knochen brechen“, sagt ein asiatisches Sprichwort. Dass Worte eine Allzweckwaffe im Arsenal von Kriegstreibern sind, zeigt sich dieser Tage auf dramatische Weise im Kaschmirkonflikt. Die Reisediplomatie des britischen Premierministers Tony Blair und das Gipfeltreffen des Südasiatischen Verbands für regionale Zusammenarbeit nützen wenig, wenn die verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan jeden Aufruf zum Dialog schroff von sich weisen.

Indische Hardliner kommen rund um die Uhr im indischen Staatsrundfunk zu Wort: „Wir haben das Gleiche zu tun, was Amerika in Afghanistan unternimmt oder Israel in den Palästinensergebieten“, wettert etwa Strichand Kripalani von der regierenden hindu-nationalistischen Partei BJP. Und Verteidigungsminister George Fernandes scheut nicht den Vergleich mit dem Anschlag auf das World Trade Centre: „Der Anschlag pakistanischer Terroristen auf das Parlament in Delhi am 13. Dezember war ein Verbrechen von größerem Ausmaß als das, was am 11. September geschah“.

Wirklich? Ein mit Gewehren und Handgranaten bewaffnetes fünfköpfiges Kommando radikaler Moslems hatte damals versucht, die indische Nationalversammlung zu stürmen und ein Blutbad anzurichten. Doch noch bevor sie in das Gebäude eindringen und die dort anwesenden Abgeordneten angreifen konnten, wurden sie von Polizisten überwältigt. Alle Attentäter starben und mit ihnen sechs Polizisten und ein Gärtner.

Obwohl Pakistans Militärmachthaber Pervez Muscharraf den Anschlag eilig verurteilte, beharrt Indien weiter darauf, der Erzfeind unterstütze heimlich solch extremistische Moslemorganisationen wie Laschkar e-Taiba, Jaisch e-Mohammed oder Harkat-ul-Mudschaheddin, die durch blanken Terror den indischen Teil von Kaschmir zu destabilisieren suchten.

Im pakistanischen Staatsrundfunk kommen Vertreter dieser Organisationen hin und wieder auch zu Wort; die bewaffneten Terroranschläge auf indisches Territorium werden oft genug als „gerechtfertigter Kampf zur Befreiung Kaschmirs“ umschrieben. Ein Anschluss der Region sei im nationalen Interesse Pakistans, der „Unmut der Bevölkerung über die indischen Besatzer verständlich“. Fatal an diesem Medienkrieg ist vor allem, dass es diesseits und jenseits der Waffenstillstandslinie von 1947, die Kaschmir in einen indischen und pakistanischen Teil trennt, keine Zwischentöne mehr gibt.

Pakistan liegt vorn

Das Aufgebot von speziellen Radio- und Fernsehprogrammen für die Region ist enorm, die technischen Sendeanlagen sind auf dem neuesten Stand, nur die Internetauftritte dümpeln noch etwas vor sich hin. Pakistan hat bei diesem medialen Zweikampf derzeit die Nase vorn. Die Pakistan Broadcasting Corporation (www.radio.gov.pk/urdu.html) strahlt auf fünf Sendeplätzen – darunter einem Nachrichtenkanal – rund um die Uhr in 15 Sprachen über Satellit ihre Propaganda in ferne Länder. Für die Hörer in Asien sorgen starke Mittel- und Kurzwellen für einen guten Empfang.

Obwohl in Pakistan das Radio- und Fernsehmonopol beim Staat liegt, besitzt so manche dubiose Gruppierung eine heimliche Sendelizenz – darunter anscheinend auch die radikale Moslemgruppe Harkat-ul-Mudschaheddin (www.ummah.net.pk/harkat). Die Rebellen behaupten zwar, sie betrieben den Sender Voice of Jammu Kashmir Freedom aus dem Untergrund im indischen Herrschaftsbereich, doch westliche Radiofreaks glauben, die Station in Pakistan selbst orten zu können.

In Indisch-Kaschmir geriet in den vergangenen Monaten vor allem der lokale Radio- und Fernsehsender Jammu Kashmir unter heftigen Beschuss der Politik. Die lokalen Betreiber wichen von der ideologischen Linie des Muttersenders All India Radio aus dem fernen Delhi ab und versuchten, mit einem eigenen Programm zur Versöhnung zwischen den Volksgruppen beizutragen. An Stelle politischer Verlautbarungen und Hasstiraden spielte man Musik aller Kaschmirvölker und unterhielt sich lieber über Sitten und Gebräuche der Muslime, Buddhisten und Hindus, thematisierte die kulturellen Unterschiede und Empfindlichkeiten. „Es geht uns um die Eigenständigkeit der Region“, erklärten die Programmgestalter, „die große Politik interessiert die Menschen hier nicht.“

Mediale Gleichschaltung

Das ließ die Zentrale nicht lange auf sich sitzen. „Zu viel Unterhaltung, zu wenig Politik“, zürnten die Medienwächter aus der Hauptstadt und brachten die Lokalstation wieder auf die Linie von All India Radio (air.kode.net/news1.html). Seitdem prallen die indischen und pakistanischen Medienwahrheiten wieder voll aufeinander.

Gleichgeschaltet wie Radio und Fernsehen sind Zeitungen und Zeitschriften, das indische Lokalblatt Daily Excelsior (dailyexcelsior.com) steht in der einseitigen Berichterstattung den Blättern aus der Hauptstadt in nichts nach, pakistanische Blätter wie der auflagenstarke Pakistan Observer oder The Nation wissen nichts Gutes über den Nachbarn zu berichten.

Beide Regierungen haben es geschafft, dass kein einziger Journalist aus dem jeweiligen Feindesland im anderen Land akkreditiert ist, um von der anderen Seite der Medienfront frei berichten zu können. Mehr noch: Aus der weiten Welt kommt keine Alternative. Weder die Voice of America, die BBC, Radio France International oder die Deutsche Welle, nehmen sich des Pulverfasses Kaschmir in eigenen Sendeblöcken an. Nicht einmal in den Lokalsprachen der Region werden Sendungen ausgestrahlt, man belässt es bei englischen Programmen für den indischen Subkontinent. In Washington befasst sich zwar, als Folge des 11. September, ein eigener Medienstab mit dem Aufbau eines globalen Mammutsenders, der künftig als Free Muslim World ein Fernseh- und Radioprogramm in 26 Sprachen für 500 Millionen Muslime ausstrahlen soll, doch die Region Kaschmir bleibt bei diesen ehrgeizigen Planspielen außen vor. Und jede unabhängige Medieninitiative internationaler Friedensgruppen, vor Ort neue Informationsstrukturen aufzubauen, schlugen Indien und Pakistan bislang stets als „feindliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ kategorisch aus.

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