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kleingeld300.000 : 1 ist ein Umtauschkurs, den man sich besser merken kann als 2 : 1

Mit dem Taxi durch Euroland

Anfang Januar: Die Commerzbank am Hermannplatz ist rappelvoll, und auch vor der Tür hat sich bereits eine lange Schlange, vornehmlich aus Türken, gebildet: Es ist bitterkalt, und trotzdem geht keiner nach Hause. Immer wenn eine Person die Bank verlässt, darf die nächste in den Innenraum. Ein Bankangestellter passt auf. Er trägt so einen Helm wie die Amateurboxer. Es riecht nach Aufruhr, nach Revolution, nach Weltwirtschaftskrise. Die Menschen sind unruhig, murren. Ein Wasserwerfer fährt vor.

„Wir wollen unser Geld sehen“, rufen die Leute, „wir wollen unser Geld abholen!“ Vertrauen in den Euro kann man nicht erkennen – ganz im Gegenteil. Wer am Automaten Euro gezogen hat, tauscht es drinnen in türkische Lira um und kommt erleichtert mit Kisten voller Geldscheine wieder heraus. Dreihunderttausend zu eins ist auch ein Kurs, den man sich viel besser merken kann als eins zu zwei. Die machen das schon richtig, die wissen schon, was sie tun. Zwar nicht unbedingt, wenn es um den traumwandlerischen Umgang mit der Sprache Goethes und Goebbels’ geht, aber doch bei allem, was mit Handel und Geld zu tun hat: Vom Türken lernen, heißt siegen lernen.

Ich würde meine Euros ja auch gerne umtauschen, egal ob in sudanesische Schindluder, transilvanische Tutschen oder mikronesische Mark. Ursprünglich wollte ich ja nur meine Neujahrseinnahmen zur Bank bringen. Trinkgeld ist nicht dabei. Die Trinkgelder scheinen zusammen mit der D-Mark gestorben zu sein. Ist wohl zu schwierig für die Leute, statt zwei Mark Tip einen Euro zu geben. Das kapieren die nicht. Mit der Fremdwährung kommen sie sich vor wie im Urlaub, und darum benehmen sie sich auch so: „Brauchst doch dem Kaffer nicht seine eigenen Peseten in den Arsch zu schieben“, zwinkert der Euro-Vati beim Bezahlen die Euro-Mutti an, „da könnwa uns doch noch lecker Sangria von koofen, oder ein T-Shirt mit ‚Hard-Rock-Café Puerto del Carmen‘ oder dem kanarischen Kanarienvogel druff ...“ Euro-Vati ist sogar so weggetreten in seinem Fremdvalutarausch, dass er gar nicht merkt, dass ich ihn verstehe: Schließlich habe ich sie nur von der Donau- in die Ossastraße gefahren. Also kein Trinkgeld: Der Deutsche ist halt nicht reif für den Euro.

Der Deutsche ist ja im Grunde auch nach wie vor nicht reif für die Demokratie. Was will man da schon groß erwarten? Euros umtauschen geht aber nicht: Die Bank wird immer mehr von Verzweifelten belagert, die Geld haben wollen. Manche versuchen, den Wächter mit Zigaretten und Schokolade zu bestechen, den bewährten Zweitwährungen in Not- und Krisenzeiten. So manche bietet sich selbst oder ihre Kinder an, während ganz Wagemutige den Weg durch den Schornstein wählen und grausam ersticken. Als drinnen die Lira alle sind, eskaliert die Situation, und der Wasserwerfer beginnt langsam mit Eiswürfeln zu schießen. Das wirkt in etwa so bedrohlich wie eine alkoholfreie Caipiroschka und bringt den Mob noch mehr in Rage.

Bevor scharf geschossen wird, gehe ich mal lieber woanders hin. Woanders ist auch für mich Urlaub: Im Forum Neukölln kann ich endlich dieses ganze Spielgeld loswerden, Souvenirs kaufen für die Lieben daheim und einen Glühwein – das scheint hier so Sitte zu sein in diesem kalten Land. Väterchen Frost und Mütterchen Glühwein. Nächstes Mal vielleicht doch lieber in den Süden? Der Nachteil ist, dass man da bestimmt nicht zu Fuß hinkommt. Ich kaufe einen Becher, auf dem der Berliner Bär, und ein T-Shirt, auf dem die Neuköllner Ratte abgebildet ist. Dann habe ich noch Kleingeld übrig, Cent, die mir später natürlich keiner mehr abnimmt. Dafür kaufe ich Lakritzschnecken. Die schenke ich einem dieser Straßenkinder, wie sie hier in Massen rumlaufen. Dieses Elend, diese Rezession! Wer hier ruhigen Gewissens Ferien machen kann, muss ein Herz aus Stein haben! Ich gehe nach Hause, Koffer packen: Bevor der Bürgerkrieg anfängt, möchte ich weg sein. ULI HANNEMANN

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