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Der Ort für's warme Wort

■ Nach seiner persönlichen Pleite letzte Woche im Heartbreak-Hotel sucht der Ausgeher diesmal im Lehman's nach Nestwärme. Im dritten Teil seiner taz-Serie trifft er Andreas, der auf Perücken steht. Und bald heiratet

Es herrscht Faustrecht. Habe sie eingeladen zu Erdbeer-Limes und mich für sie interessiert, schwer genug, was soll mir auch einfallen zum Thema „Behindertenpädagogik“. Musste austreten und als ich zurück kam, war sie weg. Ist einfach abgehauen, ohne sich zu verabschieden. Es herrscht Faustrecht und sie wollte mir unbedingt noch in die Eier treten. Die Vöglein zwitschern schon. Ich hasse das, wenn die Vögel zwitschern, wenn ich nach Hause komme. Man sollte sie abschießen. Jeden einzelnen.

Heartbreak-Hotel, was für eine Schnapsidee. Ich habe keine Lust mehr auf Zerstörung. Ich will dahin, wo es nett ist. Wo sich die Leute was zu sagen haben. Wo sie sich zuhören und sich Mühe geben. Ich will, nein, ich muss in die Feldstraße, ins Lehman's.

Im Lehman's gibt es keine Stehplätze, jeder Quadratmeter ist für's Sitzen erschlossen. Es ist immer voll und warm, weil die Leute dort an runden Tischen zusammenrücken. Niemand hier ist alleine unterwegs.

Abende im Lehman's sind wie die Lampen, die über den runden Tischen hängen: Alle Einzelteile sind zusammengeklammert und geben sich gegenseitig Halt. Die Boxen sind mit buntem Fell verkleidet und Plastikblümchen laufen unter der Decke durch die Kneipe. Im Hintergrund rührt eine Maschine Frozen Margharita. Aus dem lila Totenkopf daneben wachsen Lollis.

Alle finden die Frozen Margharita im Lehman's toll, ich finde sie furchtbar. Ich nehme an, dass eine Frozen Margharita immer so gut ist wie das Gespräch, zu dem sie getrunken wird. Das Lehman's ist der Ort für das gute Gespräch. Die Frau aus dem Heartbreak-Hotel werde ich hier nicht treffen.

Gegen elf gehen die Pärchen und Grüppchen heim. Ein Typ kommt neu dazu, bestellt Becherovka. Er ist Anfang dreißig, die Haare schon etwas licht und graumeliert. Als sich unsere Augen treffen, grüßen wir uns. Kennen wir uns? Ich glaube nicht.

Der Typ setzt sich zu mir, gibt mir die Hand und stellt sich vor. Andreas steht auf Förmlichkeiten, „obwohl's spießig ist“. Jetzt käme er gerade von einem alten Freund, frisch wäre der trotz seiner 61 Jahre, sie hätten gekocht und danach blonde Marlene-Dietrich-Perücken ausprobiert. „Wir sind ab und zu gerne zwei lustige Tunten“ sagt er. Und dann meint er, mein Mund erinnere ihn an den von Bully Herbig.

Andreas schaut lieber auf Münder als auf Augen, er sagt, das liege an seinem Germanistik-Studium, er sei einfach ein Mann der Worte und die kämen schließlich aus dem Mund. Und jetzt arbeite er in einer Buchhandlung, nachdem er 450 Bewerbungen verschickt habe. Ob ich ihm die Zahl glauben soll? Warum eigentlich nicht?

Andreas ist glücklich, obwohl er Urlaub bräuchte und wegen einer Ordnungsneurose in ärztliche Behandlung gehen wird. Das Wichtigste in Andreas' Leben ist sein Freund. Nicht der, mit dem er vorhin gekocht hat, sondern einer, mit dem er seit eineinhalb Jahren zusammenlebt. Den wird er heiraten. Allerdings erst nächstes Jahr. Wenn genug Geld für die Hochzeit zusammengespart ist. Denn die soll gut bürgerlich werden. Andreas sagt: „Eine funktionierende Beziehung ist ein perfekter Kompromiss“, und ich frage mich, ob ich für Kompromisse wirklich etwas übrig habe. Das Lehman's ist mittlerweile fast leer, dabei ist es noch nicht mal eins. Ein Hund versperrt den Weg zur Toilette, man kriegt ihn weg, indem man mit ihm spielt. Das eint die Gäste. Die letzten Grüppchen rücken zusammen.

Andreas muss allerdings gehen und es liegt nicht einmal daran, dass ich auf Frauen stehe. Zum Abschied sagt er: „War nett.“ Ja, das war's. Ich bin wieder hergestellt. Aber in Zukunft: Keine Kompromisse.

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