Der Kampf um Paradies und Projektionen

■ „Wir wussten, dass wir dafür geprügelt werden“, sagen die Autoren eines Theaterstückes über Rio Reiser – die Möbius-Brüder drohten die Premiere zu kippen. Jetzt kommt es auf die Bühne der Bremer Shakespeare Company

„Wir wussten, dass wir dafür verprügelt werden.“ Renato Grünig zieht die Stirn kraus, das süffisante Lächeln des Schauspielers, Autors und Regisseurs verbirgt nicht ganz die Enttäuschung, verrät aber gleichzeitig einen gewissen Stolz. Stolz darüber, die Hürden gemeistert zu haben. Und so kommt Grünig letztlich zu dem Schluss: „Schwierige Kinder liebt man am meisten.“

Das schwierige Kind ist ein Theaterstück mit dem Namen „Rio Reiser - Der Kampf ums Paradies“, eine Coproduktion der Dramatikerwerkstatt der bremer shakespeare company und des Berliner Kinder- und Jugendtheaters „strahl“. Regie führten die beiden Autoren Pit Holzwarth und Renato Grünig, die auch schon für die „Comedian Harmonists“ im Theater am Leibnizplatz verantwortlich waren. Wieder wagten sich beide an einen Stoff deutscher Historie, wieder unter der Prämisse: Verarbeitung eines Popkultur-Mythos.

Diesmal setzten sich beide mit der selbst erlebten Vergangenheit der 70er und 80er auseinander. Das sei spannend und aufreibend gewesen, erklärt Holzwarth: „Ein Weg, der mit Fettnäpfchen in politischer Hinsicht nur so gepflastert war.“ Die Theatermacher spiegeln eine Zeit der Jugendrevolution, des Terrors und des starkten Staats. Rio Reiser und seine Band „Ton, Steine, Scherben“ waren in dieser Gesellschaft ein Seismograph, der die politischen Turbulenzen aufnahm und in Musik übersetzte. Titel wie „Ich will nicht werden, wie mein Alter ist“ oder „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ wurden zu Parolen, die eine ganze Generation skandierte und auf Wände sprühte.

„Rio Reiser musste für alle möglichen Träume herhalten“, resümiert Renato Grünig. Dabei fühlte sich der Künstler und Mensch Rio bald als „Vehikel für politische Programme“ und versuchte vergeblich, auszubrechen. Reiser war ein zerissener Künstler und ein unverbesserlicher Träumer – vor allem aber war er eine Projektionsfläche für seine Umwelt. Das ist er auch heute noch: Die Wahrnehmungen und Interpretation der Person Rio Reiser sind äußerst widersprüchlich und auch heute noch ein guter Grund, sich zu streiten.

Das Autorenduo spürte das am eigenen Leib: Rios Brüder Gert und Peter Möbius und auch die Musiker der „Scherben“ protestierten während der Proben in Berlin vehement gegen einige Szenen. Sie witterten Diffamierung, fanden die Darstellung von Reisers Homosexualität und Drogenkonsum überspitzt. Der Konflikt ging so weit, dass zeitweise die Berliner Uraufführung im November in Gefahr war.

Holzwarth und Grünig hatten nach eigener Aussage nicht den Anspruch, Reisers Biografie möglichst authentisch auf die Bühne zu bringen. „Wir haben bewusst eine Kunstfigur geschaffen, die durch einen Traumfilter die Vergangenheit erlebt. Ein Sterbender, der nochmal zurückblickt. Der in Sequenzen seine eigene Geschichte konstruiert.“

Alles in allem ist eine Mischung aus Polit-Musical, Oratorium und absurdem Drama zu erwarten. Wie man hört, sind die „Rio-Erben“ nun halbwegs zufrieden. Die Bremer können ab 16. Januar im Theater am Leibnitzplatz feststellen, ob auch sie ihren Rio wiedererkennen. Sandor Nadelmann