piwik no script img

Der Jahresausflug zu Rosa

Vor 83 Jahren wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet. Gestern kamen mehrere zehntausend Menschen, um der Toten und vielleicht auch ihrer selbst zu gedenken

von SUSANNE AMANN

Die Blumenverkäufer warten schon, gleich in der S-Bahn-Unterführung. Aus Plastikeimern gucken die roten Nelken heraus, 50 Cent kostet das Stück. Die Verkäufer preisen ihre Blumen nicht an, sie stehen gelassen hinter ihren Eimern und wissen: Heute wollen genügend Menschen rote Nelken kaufen.

Es ist der zweite Sonntag im Berliner Januar, und der graue Himmel macht den unsanierten Häusern Konkurrenz. Normalerweise würde es heute niemanden nach draußen und schon gar nicht hierher nach Friedrichsfelde ziehen. Aber heute ist kein normaler Sonntag. Es ist der Tag der letzten Aufrechten und der kämpferischen Jugend oder der Ewiggestrigen und Verlierer von heute – alles nur eine Frage der Perspektive.

Der S-Bahnhof Lichtenberg ist der Ausgangspunkt, von hier ziehen sie die Gudrunstraße Richtung „Gedenkstätte der Sozialisten“ entlang. Auf der Straße haben sich die „Falken“, die Sozialistische Jugend Deutschlands, mit Fahnen und Akkordeon zum kleinen Zug formiert. Ihr Gesang ist dünn, aber er kommt von Herzen, und die entgegenkommenden Passanten nicken wohlwollen mit dem Kopf angesichts der engagierten Jugend.

In den Seitenstraßen stehen Polizeiwagen, gelangweilt schauen die Beamten den Menschen hinterher. Viele sind im Rentenalter, von ihnen erwartet die Polizei keine Krawalle. Zumal die PDS hier nur zum „stillen Gedenken“ aufgerufen hat, die richtige Demo findet am Frankfurter Tor statt, von anderen linken Gruppen organisiert. „Entpolitisiert“, findet denn auch Anna Cordi die ganze Veranstaltung. Hinter ihrem Stand der „Sozialen Deutschen Arbeiterjugend“ betrachtet sie die vorbeiziehenden Massen, weiß, dass nur die kommen, „die eh schon immer kommen, weil es halt dazugehört“.

Die Polizei spricht von etwa 50.000 Teilnehmern, mehr als 100.000 will die PDS gezählt haben, aber macht das noch einen Unterschied? Der Zug zur kreisförmigen Anlage ist stetig, ohne Unterbrechnung strömen sie, links mit Nelke in der Hand hinein, rechts ohne Nelke wieder hinaus. „Die Toten mahnen uns“, steht auf dem Stein geschrieben, aber wer den Gesprächen der Umstehenden lauscht, ist sich nicht so sicher, dass diese sich gerade mit denen im Jenseits beschäftigen. „Dein Bauch ist ja ganz nass, mein Kleiner“, stellt eine Dame fest und beugt sich zu ihrem schwarzen Spitz hinunter. „Bei den Pfützen und dem Dreck ist das auch kein Wunder“, spricht die Freundin nebendran, derweil sie beide ihre Nelken achtlos zu den hunderten anderen legen. Nur einzelne ziehen den Hut oder recken schnell und fast verschämt ihre geballte Faust, dem grauen Himmel zum Gruß.

„Ach wissen Sie, ich bin zum ersten Mal seit Jahren wieder hier“, sagt die PDS-Frau, die am Ausgang mit der Sammelbüchse steht und sich mit freundlichem Lächeln für die 5- und 10-Euro-Scheine bedankt, die ältere Herren in die Büchse stecken. „Dass wir in Berlin jetzt Regierungspartei sind, das macht für die Stimmung keinen Unterschied.“ Nur dass die kleinen Stände wie die des Nicaragua-Basars oder der Marxistisch-Leninistischen Alternative wegen fehlender Genehmigungen Ärger mit der Polizei haben, stört sie ein bisschen: „Nachher werden wir als Veranstalter dann dafür verantwortlich gemacht, und dann heißt es, die PDS sei schon so angepasst wie die anderen Parteien auch.“

Während oben im Rondell die Massen weiter ihren Kreis ziehen, werden unten auf dem Vorplatz die Rostbratwürste und Schmalzstullen verkauft. Kauend entspannt haben die Teilnehmer ihr Tagewerk vollbracht, streben langsam der S-Bahn entgegen. Ein kurzes, begeistertes Verweilen beim fünfköpfigen FDJ-Chor, hier noch ein Flugblatt und dort eine kleine Spende. Selbst der alte Mann, der zum proletarischen Riesengebirgstreffen auf der Schneekoppe einlädt, findet heute Beachtung. In der Unterführung zur S-Bahn stehen noch immer die Blumenverkäufer mit ihrem schier unerschöpflichen Vorrat an Nelken. Man nickt sich zu, wünscht sich noch einen schönen Tag, auf Wiedersehen bis zum nächsten Jahr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen