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Von der Selbsterfindung der Königin

Auf der Grünen Woche sind die Hoheiten des grünen Adels die Eyecatcher, die dem Mittelmaß des Events ihr vergoldetes Image geben. Die Wein-, Kirschen- oder Zuckerrübenköniginnen kennen ihre Hauptaufgabe: lächeln. Doch sie durchlaufen auch einen Crashkurs in Sachen Selbstbewusstsein

von WALTRAUD SCHWAB

Die Abschaffung der Monarchie hat in Deutschland eine Lücke hinterlassen, die die Bauern zu füllen wussten. Kein heimisches Nahrungsmittel, dem sie nicht ein gekröntes Haupt voranstellen, und was kaum zu denken gewagt wird: Kartoffelköniginnen und Zwiebelprinzen, Milchhoheiten und Ernteköniginnen adeln die Republik. Wie Kirmes, Fahnenjubiläen von Feuerwehr- und Sportvereinen, Namenstagen der Kirchenpatrone, Wunschkonzerte der Musikvereine gehören die Majestäten zur PR des ländlichen Raums. Intellektuelle und Alleswissende haben diese Kulturleistung, die immerhin die Monarchie an den Küchentisch holt und so die Tradition der Bauernaufstände auf eigenwillige Weise pointiert, verschlafen. In den Metropolen wird das Ganze sogar nur verlacht: Bohnenqueen, wo Berlin doch Preetz hat? Hopfenprinzessin, wo in Frankfurt doch die Banken regieren?

Einmal im Jahr, auf der Grünen Woche, sind die Hoheiten die Eyecatcher, die dem Mittelmaß des Events ihr vergoldetes Image geben. Junge Frauen, die sich zu Repräsentantinnen eines Produkts machen lassen, verwechseln einer landläufigen Meinung zufolge dabei Vermarktung mit Individualität. So einfach allerdings ist es nicht. Wo Zeitgeist die öffentliche Selbstdarstellung zum Imperativ macht, wo eine Nacht im Bigbrother-Container, ein Auftritt bei „Herzblatt“ im Fernsehen den Lebenslauf schmückt, sind Frauen, die mit einer Traubenkrone im Haar und einer Schärpe um den Hals die Messehallen entlangschlendern, nicht mehr nur Schönheiten, die am Gängelband der Nahrungsmittelverbände geführt werden, sondern Auserwählte, die in Sachen Selbstbewusstsein einen Crashkurs durchlaufen. Denn gleich, ob die Ladys für Zuckerrüben, Milch, Rosen oder Wein in die Presche springen, sobald sie es mit Überzeugung tun, sind sie die Stars.

„Der gewisse Kitzel bei Auftritten vor Publikum“ ist es dann auch, der Melanie Wochner-Müller gefällt. Die Apfelkönigin vom Bodensee wollte Abwechslung in ihr Leben als Vermessungstechnikerin bringen. Beim Defilee auf dem Laufsteg im Dirndl und mit einem flotten Spruch hat sich die 21-Jährige gegen die anderen durchgesetzt. Nun ziert sie zwei Jahre lang den Obstbauernstand und tingelt an Wochenenden durch die Provinz. „Meine Hauptaufgabe ist lächeln“, sie sagt es und holt sich im Gegenzug, was sie braucht: Lebenserfahrung, Leute kennen lernen, dabei sein. Das Pfund, mit dem sie wuchern kann, ist ihr frecher Zungenschlag. Wochner-Müller weiß, dass eine junge Frau im braven Kleidchen vor allem den älteren Männern gefällt. Als Königin ist sie begehrenswert, ein echter Bauer aber respektiert den höheren Stand. Da erst drei Monate im Amt, experimentiert die Ravensburgerin noch mit dem, was sie gut finden muss – die Äpfel vom Bodensee –, und dem, was schlecht sei: die Politik von Künast. Ein Spritzmittel wurde in Deutschland verboten, warum nicht auch anderswo? Weil damit behandelte Äpfel aus dem Ausland weiterhin eingeführt werden, fühlen sich die Obstbauern betrogen, was ihrem Weltbild zupass kommt. Das Nachplappern des bäuerlichen Konsenses bringt die Apfelkönigin ins Schleudern, weil sie, wenn es nicht noch so anstrengend wäre, doch lieber eine eigene Meinung hätte.

Produktköniginnen sind die Preziosen der Grünen Woche. In diesem kilometerlangen Jahrmarktsgehabe großer Lebensmittelvermarkter, wo jede Brotkrume in Euro bezahlt werden muss und jedes preisgekrönte Mastschwein schon deshalb eine Abwechslung ist, weil kein Werbeetikett dranhängt, fallen sie mit ihren Insignien aus der Menge heraus. Sie signalisieren Berühmtheit, obwohl niemand sie kennt.

Doris die Erste, Kirschenkönigin der Fränkischen Schweiz, zeigt leichte Unsicherheiten auf dem hauptstädtischen Parkett. Das macht sie sympathisch. Der Repräsentantin des „größten zusammenhängenden Süßkirschenanbaugebiets Deutschlands“ liegt das Traditionelle und Ländliche mehr. Was dort stimmt, geht auf der aufgeblasenen Messe leicht unter. Als Novum ohne Vorgängerin, als Inkarnation eines PR-Gags, der die vom Tourismus übersehene Region seit Juli 2000 ins Gespräch bringen soll, kann sie mit der Kirche nicht mehr im Dorf, in ihrem Igensdorf, bleiben. Dafür nimmt man der bescheidenen Obstbäuerin, die im Gegensatz zu ihrem Zwillingsbruder den Hof der Eltern übernehmen will, ihre Überzeugungen gerne ab. Eine davon ist auch hier die Empörung. Jeder Dahergelaufene könne Politiker werden, wo andere ihren Beruf lernen müssten. Künast ist schuld, darauf hat sich der Bauernstand geeinigt. Auch bei den Kirschen geht’s an die Chemie. „Als Obstbauer bin ich Umweltschützer. Wie sähe denn unsere Landschaft aus, wenn nicht mehr gemäht, nicht gesät und geerntet wird?“ Die regionale Wut wirkt wie ein Flakschiff von Greenpeace.

Keine Unsicherheiten zeigt die Deutsche Zuckerrübenkönigin Katharina Maidl. Die leidenschaftliche 21-Jährige macht vor, wie man als Frau anerkannt wird, selbst wenn die Vorzeichen im Konkurrenzkampf ums Renommee wie bei der Zuckerrübe das Schlusslicht bilden. Obstköniginnen rümpfen die Nase über Knollen- und Wurzelhoheiten. „Äpfel sind sinnlicher und edler als Kartoffeln“, meint eine der vielen, die sich auf der Messe tummeln. „Königin Katharina“ aber geht es um die Sache. Die heißt Landwirtschaft. Ihrer Meinung nach ein Erwerbszweig, der für junge Leute wieder attraktiver wird, weil die Generation der Anfang 20-Jährigen so wie sie um die Vorteile der Selbstständigkeit weiß. Unabhängigkeit ist der Frau, die derzeit noch eine Großküche in einem BMW-Werk managt, wichtig. Vielleicht wird auch sie später den Hof ihrer Eltern übernehmen. Weibliche Erbfolge sind in Bayern längst kein Tabu mehr.Wie alle anderen Repräsentantinnen hat Katharina Maidl gelernt, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, sei es auf Zuckerrübenversammlungen oder neben Herrn Stoiber. Ihm ist sie politisch nahe, ihr Hasssubjekt dagegen ist längst eingeführt. Massentierhaltung, was ist das, fragt sie. „Interessiert es ein Schwein, dem es gut geht, dass neben ihm noch 999 andere sind?“ Angemessenheit müsse gelten. Die Zuckerrübenkönigin, deren Vater einen riesigen Mastbetrieb hat, verficht Tradition mit modernen Mitteln, sie ist wild, obwohl sie gezähmt ist. Selbstredend verlangt sie nach Mitbestimmung und der Meinung der Frau.

Protokoll müssen sich die Königinnen selbst beibringen. Die Hoheiten wissen dies als Freiraum zu nutzen und schütteln das Image der Quotendekoration im Männerbusiness gern ab. Vorreiterinnen für alle sind die Weinmajestäten, unangefochten die Creme des Gewerbes. 13 Weinanbaugebiete gibt es in Deutschland, alle haben ihre Repräsentantin. Andrea Vogt, jene aus Baden, ist vom Weinverband angestellt und übt ihr Amt hauptberuflich aus. Wie alle gewählt für ein Jahr, fliegt die gelernte Winzerin bis nach Japan, um die dortigen Gaumen und Geldbeutel für das Genussmittel empfänglich zu machen, Weltgewandtheit ist dabei ihr Gewinn. „Man lernt so viel über sich. Ich bin nicht mehr so naiv wie früher. Ich weiß, wann ich hinhören und wann ich weghören muss. Ich weiß, wann jemand es ernst meint.“ Die Naheweinkönigin Judith Honrath und Esther Knewitz, jene aus Rheinhessen, bestätigen dies. Die beiden Frauen, die sich zum zweiten Mal sehen, seit sie inthronisiert sind, und sich glänzend verstehen, flanieren in Hosenanzügen und mit Krone auf dem Kopf die langen Messeflure entlang. In einer Zeit, in der junge Leute bereits Prämien für Praktika bezahlen, betrachten sie ihr Amt als einen Hauptgewinn. Beide Frauen studieren, die eine katholische Theologie, die andere Weinbau. „Es ist nicht einfach, vor 200 Leuten eine Rede zu halten über ‚Wein von der D-Mark zum Euro‘ zum Beispiel und gut dabei zu stehen.“ Königin zu sein ist für sie die Verwirklichung eines Kindertraums, in der Praxis aber ist es ihnen zur Bühne geworden, auf der sie das wirkliche Leben als selbstbewusste Frauen erproben. Welche Renaissance der Emanzipation, die da aus der Provinz kommt.

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