piwik no script img

Mischa Wolf trifft Herrn Kant

Beim Neujahrsempfang der PDS in der Staatsoper bleibt die alte Ostberliner Hautevolee unter sich und feiert die Kanzlerkandidatur von Edmund Stoiber

BERLIN taz ■ Mit der sozialen Gerechtigkeit ist es wie mit dem Weltfrieden. Keiner hat etwas dagegen, nicht die Bürger und nicht die Parteien, nicht einmal die CSU. Vielleicht aber ist es mit dem Engagement der Parteien in diesen Fragen nur deswegen nicht so weit her, weil sie wissen, dass Gerechtigkeit und Frieden schwerer herzustellen sind, als, sagen wir mal, eine deutsche Fußballmeisterschaft für den FC Bayern München.

Der gestrige Tag lieferte ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass es nicht einmal in der Politik selbst gerecht zugeht. Während Gerhard Schröder sich um die Mittagszeit mühte, seinen Wählern vier Millionen Arbeitslose zu erklären, ließ die PDS die Sau raus. Sie feierte auf dem Neujahrsempfang ihrer Bundestagsfraktion sich selbst und damit stellvertretend ganz Ostdeutschland für die Regierungsbeteiligung in Berlin. Manche mochten darin schon einen Vorgriff auf die veränderte Stimmungslage in der Berliner Republik erkennen: Die Genossen Sozialdemokraten beißen die Zähne zusammen und kämpfen verbissen gegen Edmund Stoiber (CSU), die Genossen Sozialisten lassen zur gleichen Zeit die Sektkorken knallen und trinken ein Gläschen auf die Kanzlerkandidatur des bayerischen Ministerpräsidenten, der im Osten in etwa so beliebt ist wie Harry Potter bei seinem fiesen Onkel Vernon Dursley.

Diese gespielte Lockerheit hielt die PDS allerdings nicht lange durch. Das lag zuallererst daran, dass die Regierungsbeteiligung der alten Genossen in der Mauerstadt Berlin rein partymäßig die alten Fronten überhaupt nicht aufgebrochen hat, ganz im Gegenteil. Im pompösen Apollosaal der Berliner Staatsoper war nichts zu sehen von der Herstellung der inneren Einheit. Unter schweren Kronleuchtern und goldenem Stuck tummelte sich fast ausschließlich die alte Ostberliner Hautevolee: Markus Wolf und Gisela May, Gojko Mitic und Hermann Kant, Helmut Sakowski und Gaby Seifert. (Interessierten Lesern aus dem Westen unserer Republik sei zum Nachschlagen das biografische Lexikon „Wer war wer in der DDR?“ aus dem Christoph Links Verlag empfohlen. Achtung: 1.037 Seiten!) Es war ungefähr so, als würde die (West-) Berliner SPD das neue Jahr mit Harald Juhnke und Günter Pfitzmann feiern.

Vertreter aus dem alten Westberlin: Klaus Schütz, Exbürgermeister; Wolfgang Wieland von den Grünen, Noch-Justiz-Senator. Vertreter aus dem neuen Westberlin: Fehlanzeige. Vertreter des Koalitionspartners SPD: null. Vertreter aus dem hippen Prenzlauer Berg: der ehemalige Rockmusiker André Herzberg. Das war’s dann. Aufgehübscht wurde die Party mit zwei alten, ehrwürdigen Vertretern der alten, ehrwürdigen Bonner Republik: mit Walter Jens und Günter Gaus. Der Tübinger Literaturwissenschaftler Walter Jens redete in altbewährter Manier das Festpublikum schwindelig, in dem er mehrere historische Kronzeugen aufrief, die zu geistigen Wegbegleitern der SPD/PDS-Koalition in Berlin gehören würden: Theodor Fontane, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und Paul Levi. Diese „Radikaldemokraten“ hätten immer auf der Kooperation von republikanischem Geist, sozialistischer Überzeugung sowie dem Bekenntnis zur allgemeiner Freiheit und Gleichheit bestanden.

Während einige Gäste beim anschließenden Empfang noch rätselten, wie plötzlich Theodor Fontane in die Ahnengalerie der Partei geraten konnte, wo er doch beim SED-Parteilehrjahr nie erwähnt worden war, nahm der größte Verrat des Tages seinen unerbittlichen Lauf: Statt Rotkäppchen-Sekt gab es Martini Brut. Die betörende Wirkung dieses feindlichen Getränks führte dazu, dass Vertreter der nordkoreanischen Botschaft plötzlich versuchten, Gregor Gysi die Zustimmung zur Wiedervereinigung Koreas abzutrotzen. Gysi schwankte. Aber nur kurz. Dann gab es Lachshäppchen, und der Herr Wirtschaftssenator gewann wieder seine Fassung. JENS KÖNIG

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen