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Wenn einem die Natur kommt

Auf zur fröhlichen Regression: Bei der Grünen Woche in Berlin erfährt man alles über den Klang der Kamille, das Acoustic-Design des Apfelbisses, über Kontrolle im Kuhstall und die Aufhübschung des Umweltbewusstseins. Das vermeintlich Echte erweist sich dabei als ziemlich hausgemacht

von JAN ENGELMANN

Einmal im Jahr sind die Hauptstädter einig mit Rousseau. Plastiktütenbehängt zieht es sie dann in Scharen zurück zur Natur oder zumindest zu dem, was davon übrig geblieben ist. Die Grüne Woche, die am Samstag ihre Tore schließen wird, ist eine irre Mischung aus Wanderzirkus und Natur-Themenpark, deren Besonderheit es ist, dass gerade das vermeintlich Unspektakuläre daran die Massen begeistert: schlafende Schweine; das würzige Aroma von Kuhdung oder Heuballen, die Allergikern die Tränen in die Augen treiben; ein Königspudel namens Dieter, der im Hundeparcours den Slalomlauf verweigert.

Es ist, wieder einmal, die Faszination des Echten, um die es hier geht. Nur sind es statt der konservierten Menschenleiber bei „Körperwelten“ quicklebendige Exemplare, die einen staunen machen. Vor allem auf Besucherseite. Drei Burschen, deren Promo-T-Shirts „Scheiß auf die Titten – wir wollen Radeberger schütten“ fordern, tun es schon drei Stunden nach Messeöffnung Büchners Woyzeck nach, der den Harn nicht halten kann und sich beim Militärarzt rechtfertigt: „Aber Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt?“

Die Natur kommt also. Und sie kommt in Gestalt einer fröhlichen Regression zum Jäger- und vor allem Sammlerdasein. Ein Schlückchen hier, ein Probiererle da – nirgends ist es schöner, der Genusswut einmal so richtig nachzugeben. Für viele geplagte Bürohengste ist die Grüne Woche wie ein Kurzurlaub. Der dafür erforderliche Obolus von elf Euro ist eine gute Investition. Denn wo hat man das schon: Bildungsanstalt und Streichelzoo, Oktoberfest und Ökooase, texanisches Auktions-Feeling und russische Trachtenschau in einem?

Für Kinder will die Grüne Woche ein Lernort sein. Es dürfen Putenküken auf die Hand genommen und das „Abenteuer Pirsch“ in einem künstlichen Nadelwäldchen erlebt werden. Der Deutsche Jagdschutz-Verband e. V. („Wild auf Wild?“) ist zur Stelle, um über die Kunst des Fährtenlesens aufzuklären. Nebenan erläutert ein rühriger Imker die Aufzucht von Bienenvölkern. Dass er dies anhand von Fotoattrappen tut, wird prompt von einem Erziehungsberechtigten gerügt: „Da lebt ja keine mehr.“ Doch dieses Muss an authentischer Natur ist ein reines Erwachsenenproblem. Die jüngsten Messegänger zieht es zum Traktor mit satellitengestütztem Positionierungssystem und seinen kleinen Plastikablegern, die am Messekindergarten ausgeliehen werden können.

Die Teenies, denen man in der „Talking Food“-Eventhalle eine komplette Ernährungsschulung angedeihen lassen möchte, sträuben sich erfolgreich gegen pädagogische Bemühungen. Die Beratungsstände sind gähnend leer. Über Magersucht will und kann niemand reden, dem ständig Schokoriegel und Minisalamis vors Gesicht gehalten werden. Regen Anklang findet dagegen der Skisprungsimulator am Milka Adventure Truck – wenn schon Überwindung der Bulimie, dann doch bitte nach der Therapieform Sven Hannawalds, der nicht von ungefähr von seinen Fans „geile Wildsau“ genannt wird. Ansonsten gibt es die Poesie der berufsjugendlichen Verbraucherschützer zu bewundern. Frischmilch gilt hier als „echt kuuuhl“.

„Natur“ als regelnder Diskurs ist hier nur unterschwellig präsent. McDonald’s hatte die Losung schon am Eingang der Messehallen ausgegeben: „Durchhalten – bis in die Halle 26 b!“ Wer es bis dorthin schafft, hat es dann mit Wettspielleitern zu tun, die lautstark die Sieger der natürlichen Auslese feiern. Ein Wurfstand des Football-Clubs Berlin Thunder befindet sich direkt neben einem Rekrutierungsbüro der Luftwaffe, damit auch dem Letzten klar wird, dass körperlicher Fun-for-Fitness mit nicht unter zwei Monaten Kabul prämiert wird. Das Ganze ähnelt in seinen männerbündischen Ausdünstungen dem Bundeswettbewerb der Fleischrinder, der zeitgleich in Halle 25 stattfindet.

Der Bauernverband gibt sich dagegen nur halb entschlossen Mühe, seine Lobbypolitik in romantische Naturvorstellungen zu kleiden. Sein Erlebnisbauernhof, außen als Fachwerkhaus gestylt, überrascht innen mit einem kühlem White-Cube-Ambiente. Durchsichtige Plastikvorhänge teilen den Raum, ein Ensemble aufgehängter Edelstahlpfannen erinnert an Maggi-Kochstudios und serielle Kunst. Die vertrauensbildenden Maßnahmen nach der BSE-Krise, die man hier anstrebt, können allerdings trotz ihres Bekenntnisses zu einer „glasklaren“ Landwirtschaft eines nicht verhehlen: Transparentes Tun heißt heutzutage, in ein lückenloses System der Überwachung einzuwilligen. Um Künasts Forderungen für den Verbraucherschutz den Stachel zu ziehen, wird hier ein eigener Weg der Qualitätssicherung propagiert: Betriebliche Eigenkontrolle, neutrale Kontrolle und Kontrolle der neutralen Kontrolle sollen den „natürlichen“ Kreislauf eines modularen Agrarregimes bestimmen – ein Kontinuum der (Selbst)beobachtung, das den Zertifizierungsbehörden und Brüsseler Bürokraten schmeichelnd angedient wird.

Des Weiteren präsentieren die Landwirte voller Stolz ihren Vorsprung durch Technik. Der „Breinuckel Fitmix“ wird als quasi natürliches Futtersystem für Sauen, der „Astronaut Melkroboter“ zum Stressabbau von Milchkühen angepriesen. Diese Leistungsschau einer „High-Tech in Agriculture“ macht naive Vorstellungen einer Landidylle schnell zunichte.

Angesichts der drohenden Cyborgisierung der Euterhaptik flüchten viele Eltern mit ihren Sprösslingen zur Sonderschau des Bundesministeriums in Halle 23 a. Hausherrin Künast, die gerade da ist, um die immergleichen Fragen zu ihrem einjährigen Amtsjubiläum zu beantworten, spricht von der Notwendigkeit, das Thema Ökologie „anders zu besetzen“. Bezogen auf die Ausstellung muss man da wohl von einer Ikea-Realness sprechen. Das komplette Interieur ist aus Holz und evoziert eine etwas piefige Country-Gemütlichkeit. Die an den Blumenbeeten und Getreideähren angebrachten Namensschilder sagen den Stadtkindern natürlich nichts, sind aber gut gemeint. Schautafeln klären über den genetischen Engpass der Artenvielfalt auf und empfehlen dringend Sorten mit „gutem Durchwurzelungsvermögen“. Doch der Versuch, sich durch die Faktenhuberei durchzuwursteln, reizt nicht jeden. Allein der Stand der Slow-Food-Bewegung zieht mit seinem „Sinnesparcours“, der zum munteren Befingern und Beschnüffeln verderblicher Waren einlädt, viele Neugierige an.

Die Sinne der Besucher, falls sie sich durch die audiovisuelle Umweltverschmutzung Harzer Blaskapellen nicht schon allem verschließen, sollen hier wieder auf „Ursprünglichkeit“ getrimmt werden. Unter dem Motto „Back to basics“ wird der ideelle Gesamtverbraucher für die Irreführung der Lebensmittelwirtschaft sensibilisiert. Ist das „natürliche“ Knacken beim Biss in den Apfel nicht längst das Werk von Acoustic-Designern? Wer weiß noch, wie Erdbeerjoghurt ohne Aromastoffe schmeckt? Aber auch die Ökoverfechter arbeiten mit Taschenspielertricks und lassen immer mal wieder Vogelgezwitscher vom Band erklingen. Die Agrarwende ist, indem sie sich ästhetischer Strategien und des Gefühlsmanagements bedient, nicht zuletzt auch eine Wende vom niedersächsischen Funke-Authentizitismus zum Neuberliner Clublounge-Konzept. Vermutlich meint Renate Künast dies, als sie davon spricht, „dass man auch in Pumps Ökoprodukte essen kann“.

Die Aufhübschung des Umweltbewusstseins passt nicht allen Ökobefürwortern in den Kram. Geht es zum Beispiel nach den Anthroposophen, so sollte sich ganzheitliches Denken nicht mit dem Zeitgeist versöhnen. Zu welchen Kopfgeburten diese Haltung führen kann, zeigt ihr Stand in der Biomarkt-Halle. Das Projekt „Lebenskräfte erleben“ wartet mit einer Installation von Klangmodulen auf, die das verborgene Wesen von Eiche und Kamille in einem „ätherischen Medium“ abbilden soll. Dafür wurden die Maße der Blütenblätter in Frequenzbereiche und deren Verhältnisse in die entsprechenden Tonintervalle übersetzt. Diese „klingenden Proportionen“ sollen den „kosmischen Zusammenhang“ von Natur und Musik verdeutlichen. Den Kindern, die mit den Stofftüchern an den Klangstäben entlangwischen, ist dieser komplizierte Gedankengang gänzlich schnuppe. Ohnehin entlocken sie der Apparatur nur ein lästiges Gequietsche.

Natur, so sagt es Goethe, beseelt uns mit ihrem „stillen Ernste“ und ihrem Schweigen. Davon kann auf der Grünen Woche nun wirklich keine Rede sein. Die Natur spricht, sie talkt und salbadert und ufert aus. Um das alles zu verstehen, ist hermeneutische Einfühlung nicht unbedingt vonnöten. Es genügt eigentlich schon, genau hinzusehen, um die verborgenen Wahrheiten zu erkennen, welche die „doppelte Natur“ (Woyzeck) für Sinn suchende Politiker, die Sinne betörende Projektemacher und sinnenfrohe Plastiktütenträger auf diesem Karneval der Zeichen bereithält. Als Entschlüsseler des großen Naturflashs hatte sich Büchners Dramenheld ja geradezu angeboten: „Da, da steckt’s. Haben Sie schon gesehn, in was für Figurn die Schwämme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen könnt.“

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