: Ein Blick über den Kochtopfrand
Vorstand eines insolventen Förderverein wirft Behörde Nichtstun vor ■ Von Sandra Wilsdorf
Sie sind zwischen Mitte 60 und über 90, und sie leben allein. Täglich um 11.30 Uhr treffen sie sich im „Pottkieker“ in Dulsberg. Zum Essen und zum Reden. Die fünf Damen vom vordersten Tisch sind immer die ersten. „Erst klönen wir, und dann holen wir uns das Essen.“ Ein warmes Mahl mit Salat und Dessert. „Wir werden so richtig verwöhnt“, sagt eine. „Und man hat jeden Tag ein Ziel“, fügt eine andere hinzu. „Wir haben auch einen Herrn, der ist schon 98. Und wenn der mal nicht da ist, dann sehen wir nach ihm“, berichtet eine Dritte.
Alte, Arme, junge Familien, Menschen, deren Büros keine Kantine haben: Sie alle kommen in den „Pottkieker“. Wer verdient, zahlt 3,60 Euro, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und RentnerInnen essen für 2,60 Euro. „Das ist so menschlich“, findet Siegfried Sieffert, der seit Jahren kommt und hier schon Leute kennengelernt hat, die er auf der Straße nur vom Sehen kannte.
Der „Pottkieker“ wirkt doppelt: Für den Stadtteil und für die Frauen, die hier fünfmal die Woche je 100 Essen für den Nachbarschaftstreff und eine Obdachloseneinrichtung kochen. Der „Pottkieker“ bietet den Ex-Arbeitslosen in einjährigen Maßnahmen eine Chance zum Wiedereinstieg. Doch das ist in Gefahr. Denn die Küche ist eines von sieben Projekten des „Vereins zur Förderung der beruflichen Weiterbildung“, der im Dezember Insolvenz angemeldet hat (taz berichtete).
Wirtschafts- und Sozialbehörde müssen nun über die Zukunft der Projekte entscheiden. Für alle gibt es interessierte Träger, doch noch ist unklar, inwieweit die die alten Schulden übernehmen müssten. „Wenn die Behörde jetzt nicht handelt, ist bei den meisten Projekten nächste Woche Schluss“, sagt Betriebsrat Maik Schwartau. Denn ein Ausgabenstopp führt dazu, dass mit den Materialien auch die Arbeit ausgeht. „Wir dürfen hier wenigstens von den Tageseinnahmen Lebensmittel kaufen“, sagt „Pottkieker“-Leiterin Monika Häring. Zusätzlich bringt die Hamburger Tafel Lebensmittel.
Insgesamt arbeiten 125 Menschen in den sieben Projekten, sie alle haben kein Dezembergehalt bekommen und leben nun auf Pump: „Wäre ich nicht bei meiner Schwester eingeladen gewesen, wäre Weihnachten ganz schön traurig gewesen“, sagt Andrea Harder, alleinerziehende Mutter und Mitarbeiterin bei „Pottkieker“. Nach tagelanger Pendelei zwischen Sozial- und Arbeitsamt erhielt sie Anfang Januar schließlich einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld: Die Miete und 535 Mark. Ihr Konto ist tief im Minus. „Das ist so diskriminierend, ich musste mich noch dafür verteidigen, dass ich nichts Erspartes habe.“
Die Schuldenkrise des Vereins währt schon Jahre. Um sie zu lösen, hatte der Vorstand im vergangenen Sommer zwei Abteilungen verkauft. Übrig blieb der Bereich Beschäftigung, der sollte mit von Arbeitsamt und Sozialamt komplett finanzierten Maßnahmen neu starten und ist nun trotzdem verschuldet. Wie konnte das passieren? Dass die Verkaufserlöse nicht so hoch waren wie vom Vorstand behauptet, vermutet der Betriebsrat. Außerdem sollen Abfindungen für die Geschäftsführer der zwei verkauften Teile von dem übriggebliebenen Verein bezahlt worden sein.
„Nach den Verkäufen waren wir entschuldet“, sagt jedoch Vereinsvorstand Siegfried Hahn gegenüber der taz und attackiert die Sozialbehörde: „Wir haben schon im Juli 2001 die Behörde darauf aufmerksam gemacht, dass wir weiterhin das Risiko für drei langjährige Mitarbeiter tragen.“ Die hatten die Käufer nicht übernommen, durch die Gelder für die Maßnahmen waren ihre Gehälter nicht gedeckt, „die Behörde hat gesagt, dass es daran nicht scheitern soll“, sagt Hahn. Im September habe sie die Zusage erneuert, und dann nichts mehr von sich hören lassen. „Anfang Dezember haben wir der neuen Senatorin von der drohenden Insolvenz geschrieben und bis heute keine Reaktion“, sagt Hahn. Die Behörde wies gestern von sich, dem Verein Zusagen gemacht zu haben.
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