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Happy Thursday

Wandern gehört nach Österreich, Protestieren erst recht: In Wien findet heute die 100. „Donnerstagsdemo“ statt. Exminister, Randexistenzen und NGO-Aktivisten bilden flexible Bündnisse, gegen rechts sowieso. Urbane Popkultur, die ins Barocke lappt

von ROBERT MISIK

Am Anfang war ein großes Wort: Wir gehen, bis ihr geht. Daraus wurde eine liebe Tradition. Seit beinahe zwei Jahren schon, seitdem in Wien die Koalition aus Wolfgang Schüssels Konservativen und Jörg Haiders freiheitlicher Radaupartei regiert und die ursprünglichen Massenproteste abgeflaut waren, zieht wöchentlich die Donnerstagsdemonstration durch die Stadt; treffen sich mal mehr, mal weniger, mal ein paar tausend, mal nur wenige hundert Leute schräg vis-a-vis vom Kanzleramt am Ballhausplatz zum rituellen Statement, unorganisiert und doch einem gemeinsamen Impuls folgend – mit Vogelschwärmen hat sie ein aufmerksamer Beobachter verglichen.

An diesem Donnerstag wird sich die Prozession mit demonstrativer Sturheit zum hundertsten Mal durch die Stadt schieben. Deren bloße Existenz vermag schon anzuzeigen, dass die angekündigte „Normalisierung“, wie sie von der Regierung erhofft wurde, dieses Sichabfinden, wie sich die Menschen mit allem abzufinden pflegen, wenn es nur lange genug der Fall ist, zumindest eine fortdauernde Irritation erfährt. Eine flexible, fast raffinierte Form des Protestes ist das: Die Hülle existiert, jeden Donnerstag, und wird je nach Anlass gefüllt. Hat sich die Regierung wieder eine Schweinerei geleistet, kommen mehr Leute, kühlt das politische Klima ab, trifft sich eben, wer gerade nichts Besseres vorhat. Ort und Zeitpunkt sind konstant, bloß das Motto ist variabel: Werden die Sozialversicherungen auf Regierungskurs getrimmt, zieht der Zug zu deren Sitz, wird die Frauenpolitik abgewickelt, wird verlässlich das zuständige Ministerium angesteuert.

Doch die scheinbar konventionelle Form der „Themen-Demo“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Donnerstagsdemo längst urbane Popkultur geworden ist – sie braucht letztendlich keinen Anlass außerhalb ihrer selbst. Zudem ist „Donnerstagsdemonstrant“ fast ein Identifikationsbekenntnis, generations- und milieustiftend, eine Identitätsbezeichnung mit signifikanten Beiklängen: Donnerstagsdemonstranten kaufen ihre Klamotten in Outlet-Läden, bewegen sich virtuos im World Wide Web und tanzen in Schuppen mit dem Namen „Chelsea“ oder „Flex“ – obwohl, wiederum und wohlgemerkt, das natürlich bei weitem nicht alle Leute tun, die am Donnerstag demonstrieren. Zumindest im öffentlichen Bewusstsein aber steht die Donnerstagsdemonstration für das Ernsthaftwerden der Spaßgeneration, egal, wie treffend oder untreffend dieses Bild für viele der real existierenden Demonstranten auch ist. So möchte man den Marsch eine der seltsamsten Institutionen nennen, die Menschen je zu institutionalisieren vermochten. Das allein ist eine Feier wert. „Happy Thursday“ lautet folgerichtig das schlichte und selbstreferenzielle Motto des Jubiläumsumzuges.

Apropos Institutionalisierung: Die wöchentliche Demo ist in gewissem Sinn noch weniger formalisiert, als dies ansonsten Demonstrationen zu sein pflegen, die normalerweise ja die Ausnahmen im politischen Alltag markieren. Die Rundgänge werden noch immer nicht polizeilich angemeldet, stellen sozusagen eine permanente Verwaltungsübertretung dar, und abseits des Umstandes, dass niemand in einem Maße für die Demonstrationen „verantwortlich“ ist, dass er sich dem Innenministerium gegenüber zum Repräsentanten aufschwingen könnte, korrespondiert diese selbst gewählte Nichtlegalität auch mit der politisch-moralischen Illegitimität, die die Demonstranten der amtierenden Regierung zuweisen. Diese Regierung ist ihnen kein Adressat demokratisch-bürokratischer Höflichkeiten.

Selbstverständlich sind die Umzüge auch zu einer eigenen Form der Geselligkeit geworden, zu einer Art Stammtisch im Gehen, und genauso selbstverständlich üben sie eine Anziehungskraft auf Seltsamkeiten jeder Art aus. Aber gerade darin liegt auch ihre Qualität, vermögen sie doch Milieus zusammenzuwürfeln, die sich sonst nicht finden würden: Hier mischt sich die schicke metropolitane Jugendkultur mit Autonomen, linksradikalen Sektierern, gesellschaftlichen Randexistenzen, Ministerialbeamten, Exministern, Honoratioren, Bürgerrechtlern, NGO-Aktivisten, schrägen Figuren. Mit einer Mischung aus Arroganz und Hilflosigkeit hatte Wolfgang Schüssel einmal gemotzt, die „Alt-68er und die Internetgeneration“ wollten sich eben austoben – von ihrer Beharrlichkeit dürfte er dann doch überrascht gewesen sein.

Sogar eine Uraufführung unter freiem Himmel hat die Donnerstagsdemonstration schon gesehen: Elfriede Jelinek präsentierte ihren Haider-Monolog „Das Lebewohl“ an einem schönen Sommertag exklusiv zum Demoauftakt, „Hauptdarsteller“ Martin Wuttke wurde eigens eingeflogen.

„Exkursionen“, einen „kollektiven Lehrgang“ hat der Autor Doron Rabinovici die Märsche genannt, seine Kollegin Marlene Streeruwitz urteilte, „die Donnerstagswandertage haben eine eigene Gangart entwickelt“. Parolen braucht es keine, einfach zu gehen ist Statement genug. Für Stimmung sorgen der Trommler und der Saxofonbläser. Selten hat eine Protestkultur so wenig amorphe, dirigierte Masse gesehen. Die Donnerstagsdemonstration ist eine Bereicherung der politischen Kultur, gerade indem sie, wie die Philosphin Isolde Charim formuliert, den Versuch der „Rettung der letzten Reste“ darstellt, „die es davon noch gibt“.

Wenn man sich unter die Leute mischt, mit fast nicht wahrnehmbarem Kopfnicken die Wandersleute grüßt, die man meist nur vom wöchentlichen Sehen kennt, mit denen einem aber ein stilles Einverständnis verbindet, und wenn man ein paar Worte mit Bekannten wechselt, dann spürt man schnell auch ein wenig ihren Stolz, eine eigene Protestform entwickelt zu haben. Sogar international hat diese als Vorbild gewirkt. Im vergangenen Sommer haben amerikanische Bürgerrechtsgruppen aus Protest gegen den Wahlschwindel von Florida „Thursday-Bushbash“-Demos am Washington Square Park in New York begonnen, nicht ohne darauf hinzuweisen, sie seien ein „grassroot movement inspired by the weekly anti-government marches currently taking place in Vienna“. Darüber haben sich die Wiener Demonstranten sehr gefreut, auch wenn die New Yorker Umzüge nach dem 11. September nicht mehr stattfanden.

Freilich bergen auch die Donnerstagsdemos mehr von der Zivilreligion ihres Landes, als ihnen womöglich selbst lieb ist. Die barocke Tradition, die Politik nie ohne das Theatralische zu denken vermag, die politische Lager formte, indem sie den Rückgriff auf das Rituelle immerwährend neu inszenierte, findet in ihnen ihren zeitgenössischen Ausdruck. Der Protest wird in den Kalender eingepasst, schafft sich seine eigenen Weihemomente, die zwei Stunden, in denen alles andere ruhen soll – und gibt damit freilich auch Teile seiner irritierenden Dimension preis. Das erlaubt, sich auch an das Außergewöhnliche zu gewöhnen.

So erzählt man sich von dem belauschten Dialog zweier alter Damen in der Straßenbahn. „Jetzt demonstrieren’s schon wieder“, sagte die eine. „Ja, aber da darfst dich nicht aufregen, heut ist ja Donnerstag“, erwiderte die andere. „Ah so“, gab die erste leise bei. In den Rhythmus der Stadt hat sich der wöchentliche Marsch längst eingefügt. So geht die Geschichte eines hohen Bundesheeroffiziers um, der mit seiner Gattin eines Tages in die Innenstadt fahren wollte. Unterwegs schreit die Frau plötzlich auf: „Um Gottes willen, wir können doch nicht mit dem Auto fahren, heute ist ja Donnerstag.“ Zum Glück irrte die Dame. Die Furcht vor dem Verkehrschaos erwies sich als unbegründet. Es war Mittwoch.

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