piwik no script img

DIE SOZIALDEMOKRATEN HABEN FÜR ROT-ROT KEINE IDEEObszönes Desinteresse am Osten

Heute wird in Berlin der erste rot-rote Senat in der Geschichte der Stadt vereidigt: symbolischer Vollzug einer Entwicklung, die weit über die Hauptstadt hinaus weist. Etabliert sich Rot-Rot in Berlin, wird über diese Konstellation in Potsdam, Dresden und Erfurt kaum noch grundsätzlich gestritten werden. Eine Koalition im Bund ist wegen des Streits um die Militärpolitik noch lange unrealistisch, aber mit der PDS könnte die SPD langfristig den ganzen Osten regieren.

Der Wille zur Macht mag notwendig für alle Politik sein, hinreichende Bedingung ist er nicht. In der SPD scheint niemand recht zu wissen, was außer Sitzen im Bundesrat, Senats- und Staatskanzleien mit dem rot-roten Bündnis zu erreichen ist. Dies illustriert das Berliner Beispiel: In der Präambel zum Koalitionsvertrag zwangen die sozialdemokratischen Hauptautoren zwar die ehemaligen SEDler zur Anerkennung von Zwangsvereinigung und Mauerbrutalität. Aber die Passagen, in denen Rot-Rot nach vorne gedacht wird, stammen aus der Feder der PDS und reichen von der „Anerkennung von (Ost-)Biografien“ bis zum „Respekt für in der DDR erbrachte Leistungen“. Auch hier reklamiert Gregor Gysi dreist die „Vollendung der inneren Einheit“ für sich. Dass die Partei der Mauerbauer dafür, das Zusammenwachsen der beiden Deutschlands organisieren zu wollen, nicht ausgelacht wird, liegt auch daran, dass sich kein Sozialdemokrat dafür interessiert. Die SPD hat nicht ein Problem mit der PDS, sondern mit dem Osten. Augenscheinlich kann sie mit rot-roten Regierungen keine Integration verbinden. Nach der Präambel illustriert dies auch das Personal: Im neuen Senat kommen nur PDSler aus Ostberlin.

Doch die führenden Sozialdemokraten, deren östlicher Horizont von dem Teil Deutschlands begrenzt wird, in dem sie nicht aufgewachsen sind, werden sich dennoch für die neuen Bundesländer interessieren müssen. Denn im Osten werden in Deutschland Wahlen entschieden: das nächste Mal im September. Gerhard Schröder und seine Partei haben vier Jahre lang geradezu ein obszönes Desinteresse an den neuen Ländern gezeigt. Die Chance, dies mit Rot-Rot zu korrigieren, vergibt die SPD gerade. ROBIN ALEXANDER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen