: „Ali wollte aufgeben“
Boxlegende Karl Mildenberger korrigiert die Geschichte: Beim Fight 1966 gegen Ali habe dieser fast aufgegeben. Mildenberger ging in der 12. Runde k. o.
Interview THILO KNOTT
taz: Herr Mildenberger, überraschend, dass wir uns hier, im Städtischen Hallenbad Kaiserslautern, zum Interview treffen. Es hieß immer, sie wären längst in Pension?
Karl Mildenberger: Nein, nein, ich muss noch arbeiten, bis ich 65 Jahre alt bin. Also Ende des Jahres ist aber Schluss. Ich bin noch zu jung, um zu Hause zu bleiben. Und da arbeite ich halt als Bademeister.
Also eigentlich zu früh, um aufzuhören?
Es gab viele Leute, die gesagt haben „Karle, jetzt bist du 60, hör doch endlich auf.“ Aber warum? Ich bin noch fit, wiege gerade mal 2 Kilo mehr als mein früheres Kampfgewicht von 86 Kilogramm. Keine Zigaretten, ganz wenig Alkohol.
Wie oft müssen Sie Ihren Schwimmbadgästen die Geschichte vom Kampf gegen Muhammad Ali erzählen?
Ach, heute geht es eigentlich, Gott sei Dank. Außerhalb von Kaiserslautern werde ich schon mal vorgestellt: „Das ist der Mann, der 1966 gegen Ali geboxt hat.“
Womit fangen Sie an, wenn Sie die Geschichte vom Ali-Kampf erzählen?
Na, dass Ali der Größte war. Und gegen den habe ich um die Weltmeisterschaft geboxt. Ich war Südwestmeister, dann Deutscher Meister, dann Europameister. Und dann Vizeweltmeister.
Ali war auf Europatournee. In London hatte er Henry Cooper in Runde sechs, Brian London in Runde drei auf die Bretter geschickt. Wussten Sie, was da auf Sie zukam?
Ich hatte zuvor in den USA Ali gegen Bonavena kämpfen sehen. Was nachts im Fernsehen übertragen wurde, habe ich natürlich auch gesehen.
Heute betreiben die Boxer stundenlange Videoanalysen.
Im Ring sieht doch alles anders aus als im Fernsehen. Wichtig ist, dass du jemanden hast, der dich auf den Kampf einstellt. Du brauchst eine Vorstellung davon. Du musst den Gegner begreifen und dementsprechend boxen. Vor dem Ali-Kampf habe ich mir drei oder vier Sparringspartner geholt. Amerikaner, Schwarze. Die hatten ungefähr die Größe und auch die Technik von Ali. Zwölf Wochen hat bei uns noch die Vorbereitung auf solch einen Kampf gedauert. Heute trainieren die Boxer drei Wochen. Und wie laufen sie rum? Untrainiert, fette Säcke, furchtbar.
Ali hatte ja Schwierigkeiten mit Rechtsauslegern wie Ihnen. Wie sah Ihre Taktik aus?
Alis Vorteil war seine Größe und seine Schnelligkeit. Deshalb habe ich auch mit leichten Gewichten trainiert, ich hatte damals nur 86 Kilo – das wäre heute Halbschwergewicht. Die Presse hat mir ja nicht mal fünf Runden gegen Ali gegeben.
Hatten Sie Angst vor Ali?
Ach nein, Angst nicht. Ein gewisses Lampenfieber schon. Ich habe in mich hineingehört: Wie ist dein Tag, deine Stunde, deine Zeit? Morgens um sechs Uhr bin ich aufgestanden, sieben bis neun war ich im Wald. Danach Massage. Dann habe ich mich hingelegt. Meine Presse gelesen. Ich habe mir gesagt: Er will auch nur das, was ich von ihm will. Wenn ich Angst gehabt hätte, wäre ich nicht in den Ring. Respekt muss man haben, sonst macht man Fehler. Ich hatte immer Achtung vor ihm. Und er auch vor mir. Darauf bin ich stolz, dass er mich als Deutschen so anerkannt hat.
Wie? Ali hatte doch ein bekannt loses Mundwerk. Hat er Sie nicht angepöbelt wie die anderen Gegner?
Meine Betreuer hatten Angst davor, ob ich mich davon auch verrückt machen lasse wie die anderen Boxer. Mich wollte er in der vierten Runde auf den Mond schießen. Aber ich habe mich nicht verrückt machen lassen.
Das mit dem Auf-den-Mond-Schießen ist ja offensichtlich nicht gelungen. Zumindest bis zur zwölften Runde nicht.
Nach dem Kampf wollte er nix wie weg, sofort in die Kabine. Keine Interviews. Nur kurz: „Karl is the best.“
Er war überrascht, dass Sie ihm solche Gegenwehr leisteten?
Ja, absolut. Ich sah ja auch ein bisschen schmächtig aus. Er wog 92,5 Kilo, ich nur 86. Er war 1,96 Meter groß, ich 1,86. Bis zur achten Runde war es sehr offen. Später hat mir Alis Matchmaker Angelo Dundee erzählt, Ali wollte zwischen der achten und zehnten Runde aufgeben.
Ali wollte aufgeben?
Ja, die achte und die zehnte Runde waren meine stärksten. Und nur weil Dundee immer wieder auf ihn eingeredet hat, hat er weitergemacht. Ich hatte dann eine Augenbrauenverletzung. Ali hat immer wieder versucht, mir den Daumen ins Auge zu stoßen, um es zuzumachen.
Mit solchen Mitteln hat Ali geboxt?
Er war völlig entnervt. Er wusste nicht mehr, wie er an mich rankommen soll. Wenn man sich heute die Aufnahme des Kampfes anschaut, sieht man, wie er vorbei schlägt, links-rechts.
Und der Grund für Ihre Niederlage war dann die Augenverletzung?
Ja, ich habe auf beiden Augen nichts mehr gesehen. In der zwölften Runde lief dann die Brühe runter, die Augen waren zu. Es war schon gut, dass der Ringrichter den Kampf abgebrochen hat.
Stolz, dass Ali nach dem Kampf gesagt hat, es sei der härteste Kampf seines Lebens gewesen?
Ja, schon stolz, dass er meine Leistung anerkannt hat. Boxen war damals noch ganz anders. Wir sind 15 Runden auf den Zehenspitzen rumgesprungen. Heute heißt es: Einmal du, einmal ich – und dann fällt einer um, weil er keine Puste mehr hat.
Trotz der Niederlage gegen Ali waren Sie „Karl der Große“, wurden im Frankfurter Waldstadion gefeiert. Der größte Moment Ihrer Karriere?
Sicherlich, gerade weil man mir überhaupt keine Chance gegeben hat.
Warum haben Sie schon mit 30 Jahren Ihre Karriere beendet?
Ich habe mit 10 Jahren angefangen zu boxen: Als ich 30 Jahre alt war, hatte ich 10 Jahre als Amateur und 10 Jahre als Profi hinter mir. Das reicht. Ich wollte nicht der Gummiball für andere sein.
Ali war dann irgendwann Gummiball, er hat erst mit 39 Jahren aufgehört.
Ali hätte das eigentlich nicht nötig gehabt. Er hat doch Millionen verdient.
Viele Sportler finden den Absprung nicht, weil Ihnen das Rampenlicht fehlt. Hatten Sie damit Schwierigkeiten?
Nein. Meine Frau Myriam hat immer zu mir gestanden und gesagt „Karl, lass es sein: Ich leide am Ring mehr als du im Ring.“ Wenn die jungen Boxer gegen mich gewonnen hätten, hätte es gehießen: Der hat den Mildenberger geschlagen! Aber niemand hätte geschrieben: Der hat den alten Mann geschlagen. Für einen Star ist es immer wichtig, dass er aufhört, wenn es Zeit ist.
Und die Zeit nach dem Rücktritt?
Es kommt immer darauf an, mit was man sich beschäftigt. Ich bin mit meiner Frau viel in der Weltgeschichte rumgereist. Ich war in Moskau, habe den 1. Mai miterlebt. Ich war in Riad. Ich habe schöne Zeiten erlebt.
Und irgendwann sind Sie Bademeister geworden.
Ich musste ja etwas für meine Rente machen. Und dann kam der Oberbürgermeister der Stadt Kaiserslautern und hat gesagt: ‚Kommen Sie doch zu uns, Herr Mildenberger.‘“
Haben Sie noch Kontakt zur Boxszene?
Bei den Amateuren in Kaiserslautern bin ich ab und zu mal. Da gebe ich manchmal Tipps, helfe den jungen Boxern.
Warum gehen Sie nur zu den Amateuren und nicht auch zu den Profis?
Weil es bei den Amateuren noch ehrlicher zugeht. Bei den Profis geht es nur noch ums Geld. Es geht nicht mehr um die Ehre. Heute verdienen die mit einem Kampf mehr als ich in meiner ganzen Karriere, in zehn Jahren.
Ärgert Sie das?
Nein, ich bin nicht neidisch. Ich habe ein Haus, ein schönes Grundstück. Das reicht mir. Ich kann noch rechnen, schreiben, lesen – ich bin nicht bekloppt. Das Wichtigste ist, dass ich gesund bin. Viele Kumpels, die bei mir im Rahmenprogramm geboxt haben, mussten sich mit 40 Jahren ihr Geld beim Preisboxen verdienen. Für 50 Mark die Nacht.
Haben Sie noch Kontakt zu Ali?
Doch, wir telefonieren ab und zu. Getroffen habe ich ihn zum letzten Mal bei der Wahl zum Sportler des Jahrhunderts. Da habe ich ihm den Pokal überreicht. Es ist eine Freundschaft – wie damals Joe Louis und Max Schmeling.
Und was wünschen Sie Ali zum 60. Geburtstag?
Alles Gute. Und Gesundheit.
Herr Mildenberger, vielen Dank für das Gespräch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen