: „Eine ganz andere Mentalität“
■ Streitgespräch über Studiengebühren mit dem Präsidenten der Universität, Jürgen Lüthje, mit Fabian Klabunde und Benjamin Bechtel vom Asta der Universität: Kontenmodell oder Gebührenfreiheit
taz: Herr Lüthje, Sie plädieren für ein Gutschein-Modell, das Studierenden eine finanzielle Beteiligung abringt. Haben Sie den Glauben an eine ausreichende staatliche Finanzierung aufgegeben?
Jürgen Lüthje: Keine Frage, die Hochschulen sind unterfinanziert, es muss zusätzliche staatliche Mittel geben. Aber zusätzlich halte ich eine private Beteiligung für nötig. Die Steuerreform wird in den nächsten Jahren zu einer Minderung der Staatseinnahmen führen, während gleichzeitig die besser ausgebildeten und verdienenden mehr Geld in der Tasche haben. Ich finde es legitim, einen Teil dieses Geldes wieder an Bildungsprozesse zu binden. Deshalb sollten Studierende Bildungsgutscheine erhalten, an deren Kosten sie beteiligt werden. Die Höhe der Beteiligung sollte nach Einkommen gestaffelt sein: ein Drittel sollte gar nichts zahlen, ein Drittel sozial gestaffelt beteiligt werden und die dritte Gruppe höhere Beträge zahlen. Ein solches Modell könnte durch ein System von Darlehen, die später einkommensabhängig getilgt werden, und ein öffentlich gefördertes Bildungssparen ergänzt werden.
Warum kann sich der Asta für diese Idee nicht erwärmen?
Benjamin Bechtel: Wir sehen nicht ein, dass hier beim schwächs-ten Glied angesetzt wird. Dreiviertel der Studenten haben heute schon Probleme, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Bildung sollte über Steuern finanziert werden, notfalls auch über Steuererhöhungen.
Fabian Klabunde: Wir fürchten, dass Gebühren, wie es derzeit in England zu beobachten ist, Kinder aus unteren Schichten abschrecken. Auch wenn oft ins Feld geführt wird, dass dies in Ländern mit gebührenfinanzierten Hochschulsystemen wie den USA nicht so sei. Dort schwankt im übrigen die Qualität der Hochschulen ganz erheblich. Bei uns, das kommt hinzu, haben die Menschen eine ganz andere Mentalität: Man hält sein Geld lieber zusammen, als sich für ein Bildungsdarlehen um 100.000 Mark zu verschulden.
Lüthje: Wir sind an einem Punkt, wo wir umdenken müssen, weil die Hochschullandschaft beginnt in zwei Klassen zu verfallen. Jene, die es sich leisten können, besuchen gut ausgestattete Privatuniversitäten, des Öfteren auch im Ausland. Während die Masse der Studierenden an den schlechter ausgestatteten Hochschulen unter zweitklassigen Ausbildungsbedingungen studieren.
Klabunde: Sie malen den Teufel an die Wand. Es ist nicht so, dass sich die Wirtschaft die Finger nach den privat ausgebildeten Absolventen leckt und die staatlich ausgebildeten nicht gefragt sind. Meines Erachtens geht es bei der Debatte um unterschiedliche Bil-dungsentwürfe. Die Universitäten, so unterfinanziert sie auch sind, bieten die Freiheit im Studium. Die Privaten sind darauf ausgerichtet, schnell auszubilden. All die Chancen, die die Uni-Hamburg nebenbei bietet, bieten die nicht.
Lüthje: Aber wir können auf keinen Fall die Unterfinanzierung der Universitäten fortschreiben. Dabei sind für die öffentliche Bildungsfinanzierung zwei weitere Aufgaben zu bewältigen: die Einführung eines nachfragegerechten Angebots an Ganztagsschulen und eine Reform der frühkindlichen Erziehung im Sinne einer Bildungsstufe. Dafür sind erhebliche Inves-titionen nötig. In der Konkurrenz dieser drei wichtigen Aufgaben halte ich es für legitim, einen Teil des Geldes, das künftig durch Steuersenkung der privaten Hand zur Verfügung steht, an Bildungsprozesse zu binden. Das ist nicht sozial ungerecht, wenn die Beteiligung sozial gestaffelt ist.
Bechtel: Wenn der Staat für keine seiner Aufgaben noch genug Geld hat, muss er eben Steuern erhöhen. Bildung ist seine fundamentale Aufgabe, der Staat steht dafür ein, das Geld dafür aufzubringen. Zumal sich alle Politiker einig sind, dass wir mehr Akademiker brauchen. Wenn der Staat tatsächlich kein Geld hat, sehen wir nicht ein, dass man Sparmaßnahmen auf die Studierenden konzentriert und sich an andere Stellen nielmals heranwagt. Das Forschungsprojekt Tesla bei Desy kostet zum Beispiel 4 Milliarden Euro. Es ist auch unsinnig zu sagen, die Steuersenkung ist Fakt und wir verlangen das Geld ausgerechnet von den Familien zurück, die sowieso für Kinder zahlen.
Lüthje: Natürlich muss man darauf achten, dass keine zusätzlichen Belastungen für Familien entstehen. Deshalb plädiere ich dafür, die Neugestaltung der Bildungsfinanzierung mit der der Kinderförderung zu verbinden. Das Ehegattensplitting bietet Verheirateten ungerechtfertigte Vorteile, unabhängig davon, ob sie die Sorge für Kinder übernehmen oder nicht. An der Stelle gibt es dringenden Reformbedarf.
Klabunde: Warum sollen entweder die Eltern, die schon die Kindererziehung auf sich nehmen, oder aber noch nicht verdienende Studierende eine Last tragen, die doch viel sinnvoller jene tragen sollten, die bereits profitiert haben? Selbst wenn die Steuerreform unabänderlich ist, wäre sogar eine Akademikersteuer noch sinnvoller, als die Studierenden zu schröpfen und eine Belastung für deren Eltern zu schaffen. Ich frage aber, ob nicht das eigentliche Ziel von Bildungsgutscheinen darin besteht, die Studierenden unter finanziellen Druck zu setzen und damit das Studium zu beschleunigen.
Lüthje: Ich finde es richtig, dass auch die Studierenden den Nutzen einer längeren Studiendauer abwägen und ein Wertbewußtsein entwickeln. Bildungsgutscheine sollten nicht auf ein Studium beschränkt werden, sondern für jede Art von Aus- oder Weiterbildung gelten.
Sie sind ja im Sachverständigenrat Bildung der Hans-Böckler-Stiftung. Stimmt es, dass dort erwogen wurde, Gebühren für die gymnasiale Oberstufe zu nehmen?
Lüthje: Es gibt neben dem allgemeinen Schulwesen Berufsfachschulen, die hohe Gebühren nehmen. Typischerweise für Ausbildungsberufe, die junge Frauen anstreben. Deshalb haben wir in der Kommission diskutiert, ob es gerecht ist, diejenigen, die sich in der Oberstufe auf ein kostenloses Studium vorbereiten, günstiger zu stellen als jene, die sich nach der Realschule für eine Physiotherapeutenausbildung bewerben. Es ist aber nicht so, dass wir empfohlen haben, das Schulsystem gebührenpflichtig zu machen.
Das würde viele abschrecken.
Lüthje: Ich weiß nicht, ob das so wäre. Wir sind aber letzlich der Meinung, dass das Schulsystem gebührenfrei bleiben soll. Bei den Hochschulen muss das nicht sein. Und zwar auch aus folgendem Grund: wir glauben, dass das Hochschulsystem sehr viel stärker durch die Nachfrage der Studierenden gesteuert werden muss. Wir wollen damit die Stellung der Studierenden stärken.
Bechtel: Natürlich sollte die Hochschule nach Anzahl ihrer Studierenden bezahlt werden, da ist die Uni-Hamburg mit ihrer Beliebtheit ein gutes Beispiel. Aber das ist doch nicht davon abhängig, dass die Studierenden dieses Geld in der Hand mitbringen. Wenn es einen bundesweiten Bildungsfinanzausgleich gäbe, wäre Hamburg auf einmal in einer viel besseren Situation. Ich zum Beispiel komme aus Baden-Württemberg, das sich mit seinen Hochschulen brüstet, aber sehr viele Studierende nach Hamburg exportiert.
Lüthje: Diesen Ausgleich gibt es gegenwärtig nicht. Ich halte so einen Bildungsfinanzausgleich theoretisch für eine andere Möglichkeit, Nachfrageeffekte in das Hochschulsystem zu bekommen. Wenn man aber über die Ausgestaltung eines solchen Ausgleichs nachdenkt, kommt man zum Ergebnis, dass Bildungsgutscheine die einfachste Form sind. Dabei halte ich eine finanzielle Eigenbeteiligung für legitim.
Bechtel: Sie bekamen ihre Ausbildung umsonst, da wäre es gerecht, dies auch anderen zugestehen.
Lüthje: Ich wäre bereit zu akzeptieren, dass jene, die eine Ausbildung umsonst bekommen haben – und nicht, wie ich, für drei Kinder die Ausbildung finanziert haben – , eine Akademikersteuer zahlen.
Bechtel: Bei all ihren Modellen werden Studierende von Entscheidungen ihrer Eltern abhängig. Akademiker, die wissen, wie wichtig ein Studium ist, werden selbstverständlich für ihr Kind ein Bildungskonto anlegen. Andere nicht.
Lüthje: Ich halte unser gegenwärtiges System für viel problematischer. Eltern bekommen für Kinder bis zum 26. Lebensjahr Kindergeld und Steuervorteile, ohne dass gewährleistet ist, dass dies den Kindern zugute kommt. Unser Modell zielt darauf ab, das Volljährige die Verfügungsberechtigung über das für sie angesparte Bildungskonto haben und elternunabhängig ihr Studium wählen. Ich sehe auch die Gefahr, dass sich nicht alle Eltern am Bildungssparen beteiligen. Deswegen wollen wir es mit einem symmetrisch geförderten Bildungsdarlehen kombinieren. Sodass die Frage, ob das Bildungskonto von den Eltern gefüllt wurde oder durch Darlehensaufnahme und spätere Tilgung letztlich keinen Einfluss hat.
Der neue Senat plant Gebühren für Langzeitstudierende. Sind sich Asta und Uni-Präsident da einig?
Klabunde: Diese Androhung wurde an die Vorgabe geknüpft, die Studierbarkeit in der Regelzeit herzustellen. Da der neue Senat in seinem Haushaltsentwurf für 2002 klarmacht, dass er überhaupt nicht vorhat, auch nur einen Schritt in diese Richtung zu gehen, dürften die Gebühren wohl nicht kommen.
Lüthje: Solche Gebühren hätten zwar den Effekt, dass die Zahl der Scheinstudierenden gesenkt wird, sie würden aber keine Probleme lösen. Zum Haushalt 2002 ist zu sagen, dass er die Studienbedingungen in keiner Weise verbessert und die Unterfinanzierung fortschreibt. Deshalb werden die faktischen Grundlagen für diese Studiengebühren nicht so bald gegeben sein.
Fragen: Kaija Kutter
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