: Verlaufen in Sömmerda
„Automobile, Tod, Bremensien“: Der Verleger Peter Kurze bevorzugt das Ungewöhnliche
Helmut Kohl hat Unrecht. Da war sich Peter Kurze ganz sicher. Zehn Jahre, bis im Osten die Landschaften blühen, zehn Jahre? „Kohl hat Unrecht: in acht Jahren. Mit diesen netten Menschen klappt das.“
Sie hatten beide Unrecht, Helmut Kohl und Peter Kurze. Da hören die Gemeinsamkeiten dann auf. Peter Kurze wollte damals nur eins: „Pressesprecher bei MZ werden.“ Mit den Motorenwerken Zschopau, Hersteller eines von Kurze sehr gemochten Motorrades, hat es dann doch nicht geklappt. Heute macht Kurze in „Automobilen, Motorrädern, Tod, Bremensien“.
Der Mann, Jahrgang `55, macht Bücher. Er ist Autor und Verleger mit ungewöhnlichem Programm. Los ging`s mit Gefrickel am Mofa, mit Abitur, mit ein paar Semestern Maschinenbau und dann BWL und vor allem mit einem Laden für Autoersatzteile. Um mit der verblüffenden Erkenntnis: Die meistverkauften Teile waren nicht Stoßstangen oder Schrauben, es waren Handbücher übers Autotüfteln. Da stand fest: „Ich mach nur noch Bücher.“
Es kam das erste Büchlein über den „VW Kübel 181“ unter dem Pseudonym Peter M. Ohrt - „Wenn das nicht läuft, kannst ich immer noch sagen, ich war`s nicht.“ Es lief aber, auch das nächste über die Lloyd-Autowerke - mit extra dickem Papier, „sieht nach mehr aus“, und von Kurze höchstselbst eingeklebten Farbfotos bei allen 2.000 Exemplaren - lief. Dann kam die Wende und Kurze machte sich auf nach Osten. Unterm Hintern seine MZ, im Gepäck seine Motorrad-Zeitschrift „Gummikuh“ und im Kopf den Traum vom Pressesprecher.
Die Gummikuh. Ob sie nicht eine Weinzeitschrift machen wollten, hatte ihn sein Drucker gefragt. „Ich trink` keinen Wein“, hat Kurze da gesagt, „das merken die sofort.“ Und ergänzt, dass es doch besser sei, eine Zeitschrift für alte Motorräder zu machen, die gebe es nämlich nicht. Das war die Gummikuh. Mit denn doch 4.000 Abonnenten.
Im Osten hat Kurze die Gummikuh verkauft - „wir waren die allererste Zeitschrift im Osten“ -, hat sich in Sömmerda verlaufen, in Zschopau die netten Menschen kennengelernt und keinen Job gekriegt, und in Magdeburg Porto gespart: „Da sind wir mit 4.000 Zeitschriften rübergefahren und haben da die Postämter leer gekauft und die Dinger frankiert.“ Das Porto war nämlich so billig von Ost nach West. Und irgendwohin mussten sie ja mit dem Gummikuh-Erlös der DDR.
Nach drei Jahren ist Kurze dann ausgestiegen, die Gummikuh lebt nicht mehr. Kurze besann sich aufs Wesentliche: „Ich kenne mich nur mit einem wirklich aus: mit der Bremer Autoindustrie.“ Er gibt Bücher über Borgward, Goliath und Lloyd heraus - mit Titeln wie „... und wer das Leben über hat, fährt Goliath“ oder „Warum musste Isabella sterben“. Mit Bildern, die auch Nicht-Autofreunde sich sehnen lassen nach Zeiten, in denen es noch Automobile gab mit Chrom und kugelrunden Scheinwerfen und kurvigen Formen, die was Mütterliches hatten. Aber mit Texten, die oft hochtechnisch sind und nicht immer zum Lesen anregen. „Unsere Bücher sind grottenlangweilig“, sagt Kurze, „nur für Freaks zu lesen.“ Das werde auch so bleiben. „Ich habe keine Lust, für den Leser zu schreiben.“ Pause. Blick nach oben. „Nein, mach ich nicht mehr in meinem Alter.“ Braucht er wohl auch nicht - die Bücher verkaufen sich. Ausflüge in populärere Gefildere floppten - „welche Bücher sich verkaufen, kann kein Verleger vorhersagen“, weiß Kurze und kümmert sich lieber um Details als um ein Massenpublikum.
Für Freaks anderer Art hat Kurze ein paar besondere Bände: Er hat zwei Bücher mit Grabschriften, gesammelt von Enno Hansing, herausgebracht. Darin stehen Pretiosen wie „Die Welt ist ganz und gar verdorben / ich bin an einem Lebkuchen gestorben“. „Wer kauft so`n Quatsch?“, habe er anfangs gefragt, und nach drei Tagen war die Standardauflage von 2.000 vergriffen. 35.000 Exemplare hat er bisher verkauft.
Kurze freut sich und tut weiter, was er gut findet. Dabei müsste die Bremer Autoindustrie doch bald erschöpft sein. „Es gibt Stoff für 19 Bücher“, sagt Peter Kurze, „ich habe sieben gemacht.“ Susanne Gieffers
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