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Ringen um Anerkennung

■ Die Hamburger Ringer-Meisterschaften sind auch ein Treffen unterschiedlicher Kulturen

Ringerschweiß und Döner Kebab – so riecht es, wenn man in die Halle an der Haubachstraße tritt. 150 Menschen mögen hier sein, unter ihnen die 30 Athleten, die an diesem Tag in acht olympischen Gewichtsklassen um den Titel des Hamburger Meisters im Freistil ringen. Auf der Matte verschränken sich gerade ein Tschetschene und Iraner ineinander. Der Schiedsrichter liegt bäuchlings platt auf dem Boden, beobachtet die Positionen der Schulterblätter und hebt den rechten Arm hoch, als wolle er jeden Moment auf die Matte hauen.

Der Anhang des Tschetschenen sitzt auf mitgebrachten Klappstühlen. Eher schwerfällig und in den Lehnen versunken kommentiert er mit ausgestreckten Armen das Kampfgeschehen. Die Iraner auf der anderen Seite geben sich weitaus enthusiastischer. Sie stehen oder gehen auf und ab und feuern ihren Freund euphorisch an. „Maschallah“ rufen sie immerfort. Maschallah, Allah gibt dir Kraft. Am Ende gewinnt der Tschetschene nach Punkten. Danach nehmen sich die Kämpfer in die Arme, als wären sie die besten Freunde.

Gute Freunde sind die meisten hier. Der Ringkampfsport ist Treffpunkt von Nationen und Kulturen. Zu den Meisterschaften haben sich neben Iranern und Tschetschenen auch Ukrainer, Russen, Balten, Deutsche, Türken, Kasachen, Armenier und Afghanen angemeldet.

Auf einer Matte, etwas abseits vom Geschehen, unterhalten sich zwei Ringer. Sie kennen sich vom Verein SC Roland. Levon Asatrjan ist Armenier, Mohammad Sharabiyani Iraner. Sharabiyani tritt in der 130 Kilogramm-Klasse an, obwohl er es beim Wiegen nur auf 103 Kilogramm gebracht hat. „Das wird heute nicht leicht“, sagt er. Das Mehr an Gewicht seiner Gegner kann zum entscheidenden Nachteil für ihn werden. Außerdem ringt der Iraner normalerweise im griechisch-römischen Stil. Im Gegensatz zum Freistil sind beim griechisch-römischen Ringen nur Aktionen oberhalb der Gürtellinie erlaubt.

Sharabiyani gehört zu den Oberen Zehntausend des Ringkampfes. Er ist 8-facher iranischer Meister. 1997 wurde er Asienmeister und im Jahr darauf war er Siebter bei der Weltmeisterschaft. In seiner Heimat ist er Teppichhändler, genau wie sein Vater hier in Hamburg, den er häufig besucht. Stolz ist er auf seine Familie, und er erzählt davon, dass sein kleiner Bruder 1998 Juniorenweltmeister geworden sei. Einen Augenblick später fügt er hinzu, eigentlich sei er nur Vizeweltmeister. Im Finale hätte er gegen einen Israeli antreten müssen – aus religiös-politischen Gründen ist er nicht angetreten. „Also eigentlich ist er Zweiter, aber im Iran ist er Weltmeister.“

Asatrajan Levon ist 3-facher armenischer Meister, Sieger des Baltischen Pokals, 2-facher Hamburger Meister und Deutscher Vizemeister. Seit drei Jahren lebt er in Deutschland. Zurück nach Armenien wolle er nicht mehr. In seiner Heimat herrscht Krieg. Hier lebt er in Frieden, in der Gemeinschaft des Vereins hat er Freunde und Familie gefunden. „Deutsch habe ich mir selbst beigebracht und viel gelernt durch den Kontakt mit Freunden und Leuten aus dem Verein“, sagt er.

Der ehemalige Präsident des Hamburger Verbandes für Ringkampfsport und Gewichtheben Klaus Kolodzick ringt seit über 53 Jahren und trainiert deutsche, türkische und Aussiedlerkinder. Er hat eine Vermutung für die Beliebtheit des Ringens gerade bei Ausländern. „Viele haben in ihrer Heimat schon gerungen. Die meisten versuchen es zunächst mit Fußball. Viele kommen aber dann zum Ringen. Vermutlich wegen der individuellen Betreuung.“

In den letzten Kämpfen des Tages verteidigen Sharabiyani und Levon erfolgreich ihre Titel. Der jüngste Teilnehmer war an diesem Tag 5 Jahre alt, 20 Kilogramm schwer und wurde Vizemeister in der E-Jugend. Der Älteste, ein Russe, 43 Jahre alt und 130 Kilo schwer, war dabei, um dabei zu sein.

Der Sanitäter zieht Bilanz. Einmal Nasenbluten und ein prophylaktischer Verband zum Gelenkschutz. Ein normaler Ringkampftag. Marcellus Gau

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