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Choreografie der Niederlage

Ost und West seien längst zusammengewachsen, behauptete Renate Künast anfangs auf der Mitgliederversammlung der Berliner Grünen. Kurz darauf brach der vergessene Richtungsstreit auf

von WALTRAUD SCHWAB

Alles fing friedlich an. Grüne Luftballons wiesen den Weg in das ehemalige AEG-Gebäude in jenem Niemandsland am Südende des Humboldthains in Wedding, das im Dunkeln besser gemieden wird. Im Foyer des in „Kunstquartier“ umbenannten Industriedenkmals gab es Kinderspielecke, Hanfaktivisten und den Werner-Schulz-Fanclub. Letzterer verschenkte Kuchen, der mit der Initiale „W“ dekoriert war.

Die Aufstellung der Kandidaten für den Bundestagswahlkampf, die hier stattfinden sollte, war bereits im Vorfeld zur Richtungswahl gekürt worden. Hauptkontrahenten: Andrea Fischer und Christian Ströbele. Beide stehen für Gegensätze, die sich auf Kurzformeln wie „Realo versus Fundi“, „links gegen rechts“, „Kriegsbefürworter und Friedensbewegter“ reduzieren lassen. Am Ende sind nun beide Verlierer.

Im großen Saal, architektonisch wie ein Festzelt gebaut, zeigte sich schnell, dass kein fröhliches Beisammensein angesagt war. Die zwei gesichteten Strickerinnen verkörpern die grüne Klientel längst nicht mehr. Stattdessen elegante Frauen, Männer in Jackett und ungewöhnlich viele junge Gesichter. Kaum jemand plauderte über Privates, zu groß war die Spannung, die in der Luft lag.

Zwar wurde Renate Künast, die sich gern als Politkumpel präsentiert, noch problemlos auf den ersten Listenplatz gewählt, ihre Behauptung aber, dass Ost und West längst zusammengewachsen seien, wurde im Laufe des Nachmittags aufs Trefflichste widerlegt.

„Wer Ströbele wählt, ist für Vielfalt, wer für Fischer ist, favorisiert Homogenität“, so drückte es Riza Baran, grüner Bezirksvorsteher in Friedrichshain-Kreuzberg aus. Allerdings räumte er ein, „dass es für Christian schwer werden könnte“. Warum? Wegen der fremden Gesichter. So wie er bemerkten auch andere Kenner der Szene, dass viele bisher nicht aktiv aufgetretene grüne Mitglieder anwesend waren. „Politik ist Strategie“, sagte einer mit einem W-Button am Revers. Für einen der Kandidaten war offenbar massiv im Vorfeld um Anwesenheit geworben worden. Dafür sprächen auch die über 70 Parteieintritte, die es im Januar gab, meinte Till Heyer-Stuffer, der Vorstandssprecher der Bündnisgrünen.

Trotz der Aufgeregtheit, die einem Wettkampf mit offenem Ausgang vorausgeht, war unter den Mitgliedern kreative Streitlust zu spüren. Die Pros und Kontras, die für Ströbele und Andrea Fischer stehen, wurden zum Dialog über Stuhlreihen hinweg genutzt. „Wohin gehen die Grünen“ war Ausgangsfrage der meisten Gespräche. Es zeigt, dass die Bündnisgrünen ihre Grundsatzdiskussionen nachholen müssen, um den Parteikurs nicht einzig von ihren Mandatträgern bestimmen zu lassen. An denen nämlich gab es reichlich Kritik. „Funktionärselite“ war dabei noch die zarteste Beschimpfung. „In einer Woche können die ihre Meinung ändern.“

Vor allem Andrea Fischer wurde mit Unmut bedacht. Nach ihrer Rede, in der sie sich in grüner Rhetorik verstrickte, ohne Farbe zu bekennen, stand sie für den eher linken Landesverband im Grunde als Verliererin fest, obwohl sie den Mitgliedern noch mitfühlende Worte auf den Weg gab, da sie so eine schwere Entscheidung zwischen ihr und Ströbele zu treffen hätten. „Westdeutsche Arroganz“, raunte es durch die Stuhlreihen. Der als Außenseiter gehandelte ehemalige DDR-Bürgerrechtler Schulz, der ebenfalls auf Platz zwei kandidierte, wurde nicht nur von Fischer bis dahin gar nicht wahrgenommen.

Das änderte sich schlagartig. Denn mit einer kalauergespickten Rede sorgte er im Anschluss für Stimmung. Mit Phrasen wie „Wir dürfen der Westausdehnung der PDS nicht die Ostausdünnung der Bündnisgrünen folgen lassen“ positionierte er sich als Advokat des Ostens. Mit Kommentaren zum Koalitionsvertrag von SPD und PDS nach dem Motto „Die werden sich an der geklauten Brezel verschlucken“ oder „Die verkaufen den Ausbau von Schönefeld noch mit einer Startbahn zum Schloss“ brachte er den Saal zum Johlen. „Eine Aschermittwochrede auf hohem Niveau“, kommentierte Franz Schulz, Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg.

Ströbele konnte sich nach dem frenetischen Beifall, den Werner Schulz bekam, nur langsam in Emphase reden. Im Gegensatz zu seinen Kontrahenten analysierte er die linken, integrativen und friedensbewegten Grundsätze, für die er steht, und geizte nicht mit Selbstkritik.

Belohnt wurde das nicht. Im ersten Wahlgang fiel Fischer raus, im zweiten er. Schulz, der „bürgerliche Reformoptimist“ hatte fast hundert Stimmen mehr und versprach, dass sein Sieg ein Aufbruch sei.

„Aufbruch, Kampf, Quatsch“ kommentierte ein Enttäuschter aus der Kreuzberger Riege, schulterte seinen Rucksack und kündigte seinen Parteiaustritt an. „Wahlkampf ohne mich!“

Ströbele war enttäuscht. „Meine Position ist nicht mehr die der Grünen“, sagte er immer wieder. So viel Abgesang auf linke Überzeugungen wurde in der Aufregung im Anschluss an die Wahl im Saal nicht geteilt: Die Leute hätten aus dem Bauch entschieden. Schulz habe gefallen. Wer klopfe sich nicht mal gern auf die Schenkel. Der Berliner Landesverband sei unberechenbar.

„Ohne Ströbele die Linke, ohne Schulz den Osten“, sagt Fraktionschefin Sibyll Klotz. „Ich wusste, wir verlieren heute.“

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