Bremen, Minsk, vergessen?: Gedenk-Stolpersteine
■ Nach 60 Jahren: Spuren deportierter Juden sollen im Stadtbild sichtbar werden
1941 deportierten die Nationalsozialisten 570 jüdische BremerInnen nach Minsk ins Ghetto. „So gut wie keine Zeugnisse und Spuren sind von ihnen überliefert, nur Einzelne haben überlebt.“, sagt Hermann Kuhn, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Die Deportation jährte sich im letzten Jahr am 18. November zum 60. Mal. Um dem drohenden Vergessen etwas entgegenzusetzen, will jetzt ein neues Projekt mit dem Titel „Sichtbar!“ Spuren der nach Minsk Verschleppten und Ermordeten wieder ans Bremer Tageslicht bringen.
Der Projekt-Name „Sichtbar!“ ist Programm. Die Überlegung, alle Häuser etwa mit einer Tafel zu kennzeichnen, in denen jüdische BremerInnen gelebt haben, ist allerdings umstritten. Kuhn will auf diese Weise zeigen, wo überall in Bremen jüdisches Leben stattfand, und damit zum Nachdenken anregen. Andere befürchten eine erneute Stigmatisierung, ähnlich dem Davidstern, den Jüdinnen und Juden unter den Nazis an ihrer Kleidung tragen mussten.
Auch die Kunst könnte beim Erinnern helfen. Die „Sichtbar!“-Initiative hat sich beispielsweise ein Rostocker Projekt zum Vorbild genommen: die „Stolpersteine“. Sie sollen in der Stadt an der Ostsee in die Bürgersteige eingelassen werden. Tatsächlich sind die „Stolper-steine“ Steinplatten, auf denen Namen, Anschriften und Lebensdaten von deportierten Rostocker Jüdinnen und Juden zu lesen sein werden. Der Plan ist, diese Platten an allen Orten in Rostock zu verlegen, an denendamals jüdische BürgerInnen der Stadt gelebt haben.
Eine andere Anregung kommt aus der Hauptstadt Berlin: Dort ist der Deportationsweg von Jüdinnen und Juden nachgezeichnet worden.
„Wir wollen an die Menschen erinnern“, betont Hermann Kuhn das Anliegen der Bremer Gedenk-Initiative. Deshalb ist eine von Kuhns Ideen, SchülerInnen einzelne Schicksale von Deportierten etwa im Stadtteil ihrer Schule erforschen zu lassen. Ein Kontakt zwischen SchülerInnen und den heutigen BewohnerInnen der früher von jüdischen BremerInnen bewohnten Häusern hält der Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft dabei für denkbar.
An einzelnen Schulen haben sich in den letzten Jahren SchülerInnen auf die „Spurensuche“ begeben, wie ein Projekt am Kippenberg-Gymnasium hieß. Die St. Johannis Schule hat im letzten Jahr eine Ausstellung über Jüdinnen und Juden in Bremen auf die Beine gestellt. Die Initiative „Sichtbar!“ steht erst am Anfang eines Prozesses. Michael Scherer von der Landeszentrale für politische Bildung, der die Initiative mitträgt und Hermann Kuhn wollten bewußt kein konkretes Projekt benennen, wie das Erinnern aussehen soll. Denn: „Ein solches Projekt kann nicht Sache einer kleinen Gruppe oder staatlicher Stellen sein“, so Scherer. Es soll noch diskutiert werden.
Deshalb laden Kuhn und Scherer VertreterInnen von Beiräten, Stadtteil-Gruppen und Kirchen-Gemeinden für den 29. Januar zu einem Informations- und Diskussionsabend ein. Ob das Projekt dann konkrete Formen annimmt, muss sich zeigen. Ulrike Bendrat
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