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Milchbärtchen trifft Missgeburt

Die zwei Enden der Parabel: Mit Nico Suave und Ferris MC zeigt sich heute der DeutschHop in voller Montur

Deutscher Rap mag sich im vergangenen Jahr wohl den ersten kommerziellen Nasenstüber abgeholt haben, aber noch ist die Szene gesund genug, eine erstaunliche stilistische Bandbreite anbieten zu können.

Ein Spektrum, das grundverschiedene Typen wie Ferris MC und Nico Suave im Angebot hat, die zudem gemeinsam auf Tour gehen. Bei Suave ist das Milchbärtchen Programm. Man kann es sehen auf dem Cover seines ersten Albums, man kann es sehen beim Interviewtermin auf seinem Kinn. Es ist dünn, eher eine Ahnung von Wachstum als cool und garantiert kein Dreitagebart. Unbeleckt von den Grabenkämpfen der Hip-Hip-Pioniertage gehört der 22-jährige zur ersten Generation deutscher Rapper, die sich nicht mehr nur an US-Vorbildern orientieren. Ohne die amerikanischen Klischees mehr schlecht als recht in bundesrepublikanische Realitäten übertragen zu müssen, kann sich der Mendener dem widmen, was er am besten kann: Kleine persönliche Geschichten erzählen.Und sich nicht, wie es seine Kollegen ständig tun, der eigenen Großartigkeit versichern zu müssen.

„Ich bin nun mal nicht der, der auf die Kacke haut, für mich als Schreiber war es wichtiger, eine Story zu haben“, erzählt der mittlerweile in Hamburg lebende Suave. Seine sympathischste Eigenschaft ist eine ruhige Bescheidenheit, und die gilt im Rap-Gewerbe nicht unbedingt als Zier. So rappt er über Vergesslichkeit, über seine Erfolglosigkeit bei Frauen, über seine kaufmännische Lehre bei BMW und berichtet in „Briefträger-Styles“ von den vier Monaten, in denen er sich dereinst als Aushilfe bei der Deutschen Bundespost „locker machte“. Dabei geht es gar nicht darum, klassische Traditionen zu brechen oder gar zu konterkarieren. „Ich hab nur aufgeschrieben, was mich beschäftigt“, sagt er. So geht es meistens um „Jugendsünden“ wie das Tragen von Slayer-T-Shirts, um die Fotos aus Kindertagen, die man findet auf dem Dachboden, und auch um Herzeleid und Beziehungsprobleme. Ja, manchmal wird der junge Mann gar sentimental, gibt sich Blößen, die sich Rapper sonst nicht erlauben.

Ganz anders Ferris MC. Nicht nur rockt der Hamburger wesentlich härter als Suave, dessen Tracks oft auf einem Funk-Riff beruhen, er spielt auch nun bereits zwei Alben lang ziemlich erfolgreich die Rolle der Missgeburt, des Freaks des DeutschHops, kokettiert mit Hässlichkeit, Proletentum und Wahnsinn. “Rap ohne mich wäre langweilig wie Sex ohne Höhepunkt, harmlos wie Fußball ohne Hooligans“, reimt er und entblößt die fauligen Zähne. In Videos inszeniert er sich als Mörderpuppe Chucky, wohl wissend, dass der Part des Kinderschrecks heutzutage nur mehr schwer ironisiert überhaupt noch funktioniert. Trotzdem: Mag das Schockpotenzial seiner Angeber-Raps nur bedingt vorhanden sein, hat doch sein revalraues Reibeisenorgan einigen Charme. Er mache Unterhaltung, eher einen „Actionfilm,“ sagt er, man solle, auch wenn er schon mal die Faschos anzählt, nur „nicht denken, dass man danach schlauer ist“.

Der Umgang mit deutschen Raps, das vor allem demonstrieren sowohl Ferris als auch Nico Suave, ist so selbstverständlich möglich wie noch nie. Viele Ideen mögen noch aus den USA kommen, aber längst dient DeutschHop hierzulande als gleichberechtigter Einfluss. Dieser souveräne Umgang mit dem eigenen Hintergrund wäre doch wohl ein Grund, endlich dieses fusselige Bärtchen abzurasieren.

THOMAS WINKLER

Heute, mit Dabru Tack und DJ Stylewarz, 21 Uhr, ColumbiaFritz, Columbiadamm 9-11, Kreuzberg

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