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Das Leben nach Brian

■ Der Ausgeher (5) und ein Lied über eine Vergangenheit - mit Zukunft. Diesmal im „Tower“. Wer sagt, das ich tanzen muss?

Ich weiß noch, wie eines Tages mein Freund J. aus Berlin anrief, seinen Besuch ankündigte und meinte, wir müssten unbedingt ein Konzert mit elektrischen Gitarren besuchen. Das einzige, was es an besagtem Abend vor sechs oder sieben Jahren gab, fand im Tower statt. Eine Band, von der wir Ungenaues gelesen hatten, mit einem komischen, 80er-mäßigen Namen, die im Grunde nichts anderes machte, als das alte Dinosaur-jr.-Prinzip mit altklugen deutschen Texten zu modifizieren.

Tocotronic gaben ihr Bremen-Debüt. Sie waren richtig schlecht. Wir sind lieber nach oben in die Bar gegangen und haben Bier getrunken. Der Tower war da nicht mal ein Jahr alt und trug noch deutliche Spuren des vorher am gleichen Ort residierenden erlebnisgastronomischen Unternehmens.

Jahre später: Ein Dienstag im Januar 2002. Gerade bei Brian Wilson in Hamburg gewesen und Erinnerungen aufpoliert, die ich nie hatte. Und wie das bei 60-Jährigen ist, Brian ging früh nach Hause. Immerhin hatte er vorher „Pet Sounds“ in ganzer Länge aufgeführt. Ein Jungbrunnen, weil man da als als Angehöriger der Generation Sohn noch lange nicht fertig ist. Das Problem ist nur, wo man an einem Dienstagabend hingeht, wenn es nicht die übliche Kneipenschiene sein soll. Ein Bekannter erzählte mir vom Dienstagsprogramm im Tower. Es sei eine Art „Studentenabend“ bei freiem Eintritt, mit rebellischer Musik. Und das Foster's gebe es immerhin für zwei Euro.

Neulich hatte ich die so halt- wie sinnlose These aufgestellt, dass es die klassische Independent-Disco meiner späten Jugend mangels Bedarf nicht mehr gibt. Motto-Parties, Raves und Happy Hours schienen an ihren Platz getreten zu sein. Aber hier... Punkrock, HipHop, ein Ding namens Diskurs-Pop – alles da. Sagt man eben Alternative dazu – genauso richtig oder falsch, wie der Begriff „Independent“-Musik, der sich ohnehin nur noch bei Plattenhändlern auf den Flohmärkten dieser Welt gehalten hat, wo Blondie, Sex Pistols und Cure in einer eigenen Abteilung stehen. Überschrift: Independent/Wave/Punk.

Da darf man sich einen Moment lang abgeklärt fühlen, ohne gleich dem sinnkritischen Nick-Hornby-Syndrom zu unterliegen. Krise ganz klassisch gedacht, nicht als Ende und Überwindung von „Sinn“ was ganz in meinem, wenn sie gestatten, Sinn wäre, sondern als Wendepunkt, als Schwierigkeit, einen Sinn aufrecht erhalten zu wollen, wenn sich die Grundlage für die bisher angenommene Richtigkeit moralischer Axiome grundlegend verändert hat. Sie wissen schon: der Eintritt ins Arbeitsleben, das Ende der Alimente. Es kann so langweilig sein, materialistisch zu denken... Wie inmitten des begriffslosen Idealismus eines Tanzabends derlei Gedanken gedeihen können? Fragen Sie mich nicht. Wer sagt, dass ich tanzen muss? Nennen Sie mich ruhig trivial, macht mir gar nichts. Mir gefällt es zuweilen so. Jetzt spielen sie The Notwist. Angenehm, dass es einen Ort gibt, an dem es bis fünf in der Früh auf eine Dienstagnacht solches zu hören gibt. Sonst wäre ich nur wieder zuhause bei den alten Platten hängengeblieben. Dafür ist morgen auch noch Zeit. Ob ich hierher gehöre? Ist doch alles wie immer, oder? Der Typ, der an mir vorbei geht, die Hände an die Schläfen gepresst, das Gesicht wie in Schmerz verzogen, belehrt mich eines besseren. Er hat keine Kopfschmerzen sondern ein Gespräch in der Leitung und strebt dem Ausgang zu, in der Hoffnung, statt Jochen Distelmeier, der von Verstärkern singt, seinen Gesprächspartner zu hören. Aber das ist auch nur das Besondere im Allgemeinen.

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