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Nach 9-11

Mit dem Twin-Tower-Desaster vom 11. September hat sich New York mehr verändert, als es auf den ersten, touristisch inspirierten Blick scheinen mag. Die Stadt hat – paradox genug – zu sich selbst gefunden. Eine Reportage

von BERND GREINER

Seit Anfang Dezember kann man sich im südlichen Manhattan wieder überall bewegen. Canal Street, Houston Street, West Broadway bis hinunter zur Church Street und Fulton Street – wo wochenlang kein Privatwagen fahren durfte und Fußgänger nur mit Ausweisen durchgelassen wurden, geht es zu wie immer. Jedenfalls auf den ersten Blick.

Straßenhändler in der Lower East Side verhökern gefälschte Markenprodukte, Studenten führen Touristen durch die museal renovierten „Tenements“ an der Orchard Street, wo zwischen 1890 und 1930 zehntausende von Einwanderern auf engstem Raum zusammengepfercht wohnten. Geschäftsleute und Anwohner scheinen sich in ihrem Alltag wieder eingerichtet zu haben. Und doch wird ein jeder irgendwann, irgendwo zwischen Soho und Battery Park von dem eingeholt, was New Yorker mittlerweile „9-11“ nennen.

Manchmal genügt ein flüchtiger Blick nach oben, um die Welt auf eine merkwürdige Art unwirklich erscheinen zu lassen. Es ist das Gefühl, einer optischen Täuschung zu erliegen. Unmöglich, dass der Himmel dort so grau und leer ist. Und schon im nächsten Moment die Ungewissheit, ob die Türme von der Stelle aus, wo man sie beim letzten Mal noch gesehen zu haben glaubte, tatsächlich sichtbar waren oder ob einem die allenthalben spürbare Leere jetzt an jeder beliebigen Ecke auch visuell begegnet.

Abends und nachts mutet das künstliche Licht über Ground Zero aus der Entfernung wie die Beleuchtung eines Filmsets an. Die ausladenden Arme der Kräne sehen aus wie riesige Mikrofongalgen, und die Flagge im Hintergrund scheint ein Werbelogo Marke Hollywood zu sein – noch ein hilfloser Versuch, sich sprachlich dem anzunähern, was dann tatsächlich zu sehen ist. Eine Kraterlandschaft, der Greenwich Street zugewandt eine Außenmauer des „World Trade Center fünf“ mit Fensterhöhlen wie Gucklöchern, hinter denen sich Berge aus verbogenem Stahl, Glas und Staub türmen.

Die Hälfte der 1,2 Millionen Tonnen Schutt ist schon abgetragen und nach Staten Island verfrachtet worden, wo Brigaden von Bauarbeitern auf der Suche nach Spuren menschlicher Opfer oder Beweisstücken einmal mehr das Oberste zuunterst kehren. Am Ground Zero arbeiten sie zwölf Stunden pro Schicht, für die Nachtarbeit gibt es keinen Zuschlag. Den verlangt auch keiner. Wir wollen nur eines, so ist von den Männern zu hören: unsere am 11. September begonnene Arbeit zu Ende führen. Es klingt, als wäre es eine Therapie.

Von einem der Zwillingstürme ragt noch jenes stählerne Gerippe empor, das längst zu einer fotografischen Ikone von Ground Zero geworden ist. Was zuerst wie eine Stichflamme aussieht, ist der Funkenschlag von Schneidbrennern. Am nächsten Tag wird dieses Überbleibsel so zerlegt sein, dass man es vielleicht in einem Denkmal wiederverwenden kann. Doch die eigentliche Arbeit entzieht sich dem Blick. Es ist die Plackerei der rescue workers, die sich in die unterirdischen Geschosse der Türme vorgearbeitet haben, dorthin, wo die letzten Brände erst Mitte Dezember gelöscht wurden.

Kaum ein Tag, an dem nicht noch neue Leichen entdeckt werden. Heißt es in den Zeitungen. Man möchte am liebsten wegrennen, fühlt sich wie ein Voyeur, wie einer der zu Recht verspotteten Katastrophentouristen. Und bleibt dennoch wie angewurzelt stehen – vielleicht weil an diesem Ort sinnlich erfahrbar wird, was das Wort „unbegreiflich“ bedeutet.

Es ist der Lärm von Flugzeugen, der aus den Gedanken reißt. Ausgerechnet hier. Sie nehmen wieder die alte Route zum Kennedy Airport in Queens und fliegen in niedriger Höhe über Ground Zero. Die Scheinwerfer unter den Tragflächen sind wegen der bevorstehenden Landung aufgeblendet. Und doch sieht es so aus, als sollten die Passagiere die Szenerie dort unten gut ausgeleuchtet betrachten können.

In den Straßen ringsum stehen noch Absperrgitter, die als solche kaum kenntlich sind. Jeder Zentimeter ist behängt mit Bildern von Opfern und Vermissten, mit Schulfotos und Hochzeitsbildern, mit Briefen, Kinderzeichnungen, Blumen, Fähnchen, Feuerwehrhelmen und Polizeimützen. Und Stofftieren – überall Stofftiere, an einer mit Zeltplanen notdürftig überdachten Gedenkstätte liegen hunderte Teddybären in allen Größen und Farben.

Ungezählte Gaben, so unterschiedlich wie die Menschen, die sie hinterlegt haben. Es sind ausschließlich Zeugnisse der Trauer, des Schmerzes, der Anteilnahme. Hasstiraden gegen die Täter, Rachedrohungen, politische Parolen gar findet man nicht.

„God bless America“, hat jemand auf die verstaubten Fensterscheiben des „Greenwich Delicatessen“ geschrieben, hinter denen noch die am Morgen des 11. September eingedeckten Tische zu sehen sind. „May God be with you“ – „I’ve never prayed in 30 years“ – „Let’s pray together“. Wenn es je eines öffentlichen Beweises bedurft hätte, was Amerika im Innersten zusammenhält, hier ist er buchstäblich mit Händen zu greifen. Der Glaube an Gott – das Gebet nach christlicher, aber auch jüdischer, muslimischer, buddhistischer, hinduistischer Tradition – erscheint einmal mehr als das Trost und Sinn stiftende Fundament.

Auch und gerade einer Stadt, deren Kathedralen gern mit Wolkenkratzern verwechselt werden. Die Andacht am Ground Zero hält ein junger Saxophonspieler. Selbstvergessen, das Gesicht den Trümmern zugewandt, spielt er Abend für Abend neben einem Bauzaun den Blues in seiner ursprünglichsten Form. Leise, unendlich traurig und dennoch nicht verzweifelt.

Um wie viel ruhiger die Stadt geworden ist! Wer New York kennt, traut seinen Ohren nicht. Das an allen Nerven zerrende Jaulen der Polizei- und Feuerwehrsirenen, der unverwechselbare und von Jahr zu Jahr aufdringlichere Grundton des Straßenlärms, ist nur in großen Abständen zu hören. Selbst das Rockefeller Center, ein um die Jahreswende wegen des Touristengedrängels wenig empfehlenswerter Ort, wirkt einladend.

Über Soho, Noho und Tribeca – den Vierteln in unmittelbarer Nachbarschaft des Ground Zero – liegt die Ruhe einer Kleinstadt. Verhalten das Tempo, bedächtig die Bewegungen. Und alles ist auf eine, gemessen am früheren Erscheinungsbild, unwirkliche Weise sauber. Nichts erinnert an die zentimeterdicke Staub- und Rußschicht, die sich am 11. September wie ein Leichentuch über Häuser und Straßen legte.

Im Gegenteil. Auf dem Friedhof der dreihundert Jahre alten Trinity Church, die von den herabfallenden Trümmern des Südturms wie durch ein Wunder verschont blieb, scheinen selbst die Sträucher Blatt für Blatt geputzt worden zu sein. Es sind Kleinigkeiten wie diese, die den Ausnahmezustand kenntlich machen. Und die in der Summe anstrengender wirken als der ansonsten allfällige Lärm und Dreck.

Ein flüchtiger Blick in die Auslage des Schaufensters genügt, um von dem Ladenbesitzer – einem Nigerianer, wie sich schließlich herausstellt – angesprochen zu werden. „Wo kommst du her? Deutschland? Okay, ich weiß, eure Währung steht im Moment nicht so toll da. Aber komm trotzdem rein. Komm in meinen Laden. Musst nichts kaufen. Nur ein paar Runden drehen. Die da draußen sollen denken, dass wieder Kundschaft da ist.“

Wie jeder, der am 11. September in der Stadt war, erzählt er eine Geschichte, wer weiß, zum wievielten Mal. Es ist die Geschichte von der guten Kundin, die kurz nach acht Uhr morgens vorbeischaute und ein Armband zurücklegen ließ, das sie in der Mittagspause abholen wollte – schließlich war ihr Arbeitsplatz in einem der Türme nur ein paar hundert Meter entfernt. Er hat sie nie wiedergesehen.

Und es ist seine eigene Geschichte. Wie er den Nordturm einstürzen sah, dass sein Laden fast zehn Wochen geschlossen bleiben musste, während die Miete und die Gehälter für die Angestellten weiter abgebucht wurden, dass er jetzt einen neuen Anfang wagen will, aber so recht nicht daran glauben kann. Noch weiß niemand, wie viele Firmen Manhattan seit der Zeit verlassen haben und ob die Zahl der jetzt andernorts Beschäftigten in die Tausende oder Zehntausende geht. Oder ob sie je zurückkehren werden.

„Paint the Town Red White & Blue“, heißt eine von der „NYC & Company“ herausgegebene Broschüre. Mit ihr wirbt die offizielle Marketingorganisation der Stadt um Touristen – um Bürger von außerhalb, die New York als ihre Stadt, als Teil des amerikanischen Mainstreams, annehmen sollen, und um zahlungskräftige Ausländer sowieso. „Mit eurer Hilfe werden wir stärker denn je sein“, heißt es in der Broschüre. Der Aufruf ist so erfolgreich, dass man sich fragt, ob es seiner überhaupt bedurft hätte. Wahrscheinlich hätten die meisten auch ungebeten die Stars and Stripes ins Fenster gehängt, auf Autos, Aktentaschen, Rucksäcke, Rollerblades geklebt.

Wohin man auch kommt, die Landesfarben sind schon da. Überdimensional nur vor dem Rockefeller Center, wo sie statt der üblicherweise dort wehenden Fahnen der UNO-Mitglieder gehisst wurden, und vor Bundesbehörden wie der Post, im Kleinformat überall sonst. Selbstverständlich sind auch die Aufrufe an die Käufer in Rot, Weiß und Blau gehalten: „Go shop“, „Eat out“, „See a show“. Oder: „Send a salami to your boy in the army“, wie „Katz’s Delicatessen“ seine berühmte Wurst bewirbt. Aus dem Rahmen des noch vertretbaren Geschmacks fällt nur, oder wieder einmal, die Modebranche. „Oshkosh“ zum Beispiel: „Every child needs heroes. Thanks NYC.“

Wer will, findet zuhauf Argumente für die übliche Kritik am Dämon Konsum. Und im deutschen Feuilleton scheint man besonders willig. Doch ob die in ihrem alten Amerikabild aufs Neue Bestätigten damit den Kern treffen, ist noch lange nicht gesagt. Sie können nämlich die Frage nicht beantworten, wie es denn anders hätte laufen sollen – angesichts eines wirtschaftlichen Schadens, der noch nicht zu überblicken ist, aber sich mindestens im dreistelligen Milliarden-Dollar-Bereich bewegen dürfte.

Nicht dass zum patriotischen Kaufen aufgerufen wurde, ist also die Nachricht. Sondern dass die New Yorker ihre eigene Kampagne längst mit dem bekannt knurrigen Humor kommentieren: Sitzt ein Trinker an der Bar, bestellt den fünften Martini. „Also Junge, wenn ich den nicht auch noch kippe, gewinnen bestimmt die Taliban.“

Überhaupt fällt die Gelassenheit auf, mit der die Stadt sich ihrem neuen Alltag stellt. Was wäre wohl in Deutschland zu erwarten gewesen? Straßenpatrouillen überall, Panzer in der Fußgängerzone, Ausweiskontrollen beim Benutzen der S-Bahn? Alles gar nicht so abwegig.

In New York hingegen ist nicht mehr und nicht weniger Polizei zu sehen als früher. Die Taschenkontrollen vor großen Kaufhäusern oder an der Eislaufbahn im Central Park werden ebenso lustlos wie oberflächlich vorgenommen. Selbst am Ground Zero geht nur eine Hand voll Nationalgardisten Streife, in einer Montur, die beim Bundesgrenzschutz als Ausgehuniform gelten würde. Und dennoch strahlen sie eine fast ansteckende Selbstgewissheit aus. Nicht mit uns – „United we stand“.

Dazu passt die Geschichte des Mannes, dessen Bild um die Welt ging: wie er gesenkten Haupts, über und über mit weißem Staub bedeckt, mit der einen Hand das Taschentuch schützend vor den Mund haltend, mit der anderen seinen Aktenkoffer umklammernd, einer Statue gleich und verloren auf dem Bürgersteig steht, umgeben von Papierfetzen, die vielleicht auch aus seinem Büro geweht worden sind. Edward Fine heißt der Versicherungsmakler, und er sollte in einer Talkshow im Fernsehen darüber berichten, wie niedergeschlagen, wie devasted, er sei. „Ich bin aber nicht niedergeschlagen. Heute schau ich optimistisch in die Zukunft“, war seine Antwort. Ins Fernsehen kam er damit nicht. Dafür kann er sich von Aufklebern bestätigt sehen, die ihm auf dem Weg zum neuen Arbeitsplatz ständig begegnen: „ ‚American‘ ends with ‚I can‘ “ oder: „These colors don’t run“.

Bemerkenswert ist es schon, auch weil es keiner Meldung wert war: Niemand ging am 13. Dezember, als Bin Ladens Video den ganzen Tag über die Schirme lief, in New York auf die Straße. Niemand riss am muslimischen Gebetshaus im East Village das Transparent mit der Aufschrift „Allah is the only God“ herunter oder warf die Fensterscheiben ein. Vielleicht ging mal der eine oder andere Passant nächtens vorbei und rief ein angetrunkenes „Taliban, Taliban!“ hinüber. Aber Polizeischutz wurde deshalb nicht angefordert.

Trauer, Wut und Zorn äußern sich anders – zu besichtigen vor den Feuerwachen, wo noch immer Berge von Blumen niedergelegt werden im stillen Gedenken an die 343 fire fighters, die am Ground Zero ihr Leben ließen. Zu besichtigen auch auf zahlreichen Wandgemälden, die in der Bronx wie in Manhattan von Künstlern aus der Nachbarschaft auf Häuserfassaden gekalkt wurden. Oder zu lesen in der New York Times, die täglich mit einer „A Nation Challenged“ titulierten Beilage erscheint und jeden Opfers mit ein paar persönlichen Zeilen gedenkt – „Portraits of Grief“ und einer Hommage, von der nicht nur Susan Sontag sagt, dass ihr beim Lesen jedes Mal die Tränen kommen.

Emotionen, typisch amerikanische Emotionen, sind es allemal. Aber eine Politik mit Emotionen ist es eben nicht. Wenn man schon nach verallgemeinernden Aussagen sucht, bietet sich etwas anderes an: Eine Zivilgesellschaft demonstriert den ihr angemessenen Behauptungswillen.

Besonders nachdrücklich fällt diese Demonstration in der Sportarena aus. Sie wäre auch dann der Höhepunkt des Abends gewesen, wenn die „Nicks“ nicht so einen lausigen Ball gegen die „New Jersey Nets“ gespielt und mit über zwanzig Körben Rückstand verloren hätten. Die schwarze Gospelsängerin hatte schon vor dem Anpfiff allen die Schau gestohlen. Selten wurde „The Star-Spangled Banner“ inbrünstiger im Madison Square Garden gesungen, selten warteten die 25.000 in der fast ausverkauften Halle buchstäblich mit den Füßen scharrend darauf, in den Refrain einstimmen zu können: „O’er the land of the free and the home of the brave“. In diesem Moment ist von der akustisch exzellent verstärkten Stimme der Leadsängerin nichts mehr zu hören. Man möchte den Schauer auf dem Rücken am liebsten unterdrücken.

Von allen guten Gründen für eine solche Abwehr zählt einer freilich nicht: der Hinweis auf deutsche Erfahrungen mit Sportpalästen. Denn diese Hymne hat nie wie Marschmusik, nie wie Kriegsgeschrei geklungen. Was sich im „Garden“ und anderswo manifestiert, ist die Reverenz an Symbole, die seit je einer sozial und ethnisch zerklüfteten Gesellschaft das Gefühl von Zusammengehörigkeit vermitteln – erst recht in Krisensituationen. Der Taxifahrer mit Turban, der statt einer gleich fünf Flaggen auf den Kofferraum geklebt hat, weiß um diesen Tribut an den Patriotismus, den Einwanderer über Generationen hinaus entrichten. Entrichten müssen und entrichten wollen. Denn täten sie es nicht freiwillig, wäre das „Projekt Amerika“ längst – und zwar nach bekannter europäischer Art – an seinen Widersprüchen gescheitert.

Womit nicht gesagt sein soll, dass der Patriotismus in solchen Zeiten ohne Schattenmann auftritt. Im Madison Square Garden waren es deren gleich drei: jugendliche Fahnenträger in Armeeuniform mit giftgrünem Barett, Mitglieder des „Junior ROTC“ einer High School. „ROTC“ steht seit den Sechzigerjahren für „Reserve Officer Training Corps“ und den Versuch der Streitkräfte, ihren Nachwuchs bereits in Schulen und Universitäten zu rekrutieren. Nie war dieses Programm populärer als heute, nie hatte es größeren Zulauf als nach dem 11. September.

Und nie drückte sich dieser Zuspruch deutlicher im Alltag aus. „Mami, Mami, GI Joe is back“: Der kleine Junge, vier oder fünf Jahre dürfte er alt sein, zerrt seine Mutter durch einen langen Korridor im Spielwarenladen „FAO Schwartz“. Zu beiden Seiten ist hinter Glasvitrinen ausgestellt, was sein Herz begehrt. „GI Joe“, wie der All-American soldier seit dem Zweiten Weltkrieg genannt wird, als Plastikfigur auf sorgsam modellierten Schlachtfeldern des letzten Jahrhunderts und in den Bergen Afghanistans. „General Eisenhower: Historical Commander’s Edition“ kostet siebzig Dollar, „GI Joe. Vietnam Foxhole. Military Diarama Set. Authentic Detail“ ist für fünfundvierzig Dollar zu haben. Auf manchen Bausätzen prangt der Aufkleber: „Build your own diecast weapons. Put the power at your fingertips! Feel the power that you created.“

Es wäre sicher übertrieben, alles und jedes über den Leisten der frischen Terrorerfahrung zu schlagen. Hinweise auf einen neuen Machismo und die remasculinization of America gab es schon vorher zuhauf. Sie ernst zu nehmen, bedurfte es nicht der T-Shirts mit Polizei- und Feuerwehremblemen, die heute jedem Straßenverkäufer aus der Hand gerissen werden.

Und dennoch steht man überrascht, wenn nicht sprachlos vor mancher Ungeniertheit und fragt sich, ob einem dergleichen auch früher begegnet wäre: „So, aus Hamburg kommen Sie“, meint der grauhaarige Herr im guten Zwirn, der gerade sein Büro an der Wall Street verlassen hat. „Hamburg, Hamburg – war das nicht …? Na klar! Mein Vater und mein Exschwiegervater haben mir das erzählt. Hamburg und – wie hieß es noch mal? Hannover! Dolles Ding! We bombed the hell out of you!“

Es klingt nicht aggressiv oder abwertend. Im Gegenteil. Der Mann scheint entrückt, merkt noch nicht einmal die Absurdität seiner Schlussfrage. „Erinnern Sie sich noch daran?“ Wahrscheinlich wollte er nur sagen: Schwamm drüber. Aber denk dran: Wer sich mit uns anlegt, hat schlechte Karten. „These colors don’t run.“

In solchen Momenten spürt man intuitiv, warum George W. Bush seit Monaten auf einer Woge der Zustimmung schwimmt, warum er auch innenpolitisch tun und lassen kann, was er will – bis hin zu einer beispiellosen und zu Recht als „tc“„terrorism correctness“ – gescholtenen Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten. Andererseits haben die Vereinigten Staaten auch nach schlimmsten Exzessen stets die Kraft zur Selbstkorrektur gefunden – nach dem Ersten Weltkrieg, im Kalten Krieg unter McCarthy und in der Vietnamära unter Nixon.

Schlecht wäre es erst bestellt, wenn man ein fernes Echo dieser bürgerlichen Widerständigkeit nicht einmal mehr in New York hörte. Augenblicklich ist auch dort nur auf den Klub der üblichen Verdächtigen Verlass: auf die Village Voice, das Independent Media Center und einige Kolumnisten der New York Times. Und auf die Kuratoren des Brooklyn Museum of Art, die den abstrakten Expressionisten der Fünfzigerjahre und ihrer künstlerischen Absage an die Atomwaffenhysterie eine Sonderausstellung gewidmet haben. Zufall, dass solche Exponate gerade jetzt gezeigt werden. Aber immerhin.

Wer die Stadt mag, verlässt sie eigentlich wie immer. Mit gemischten Gefühlen. Fasziniert, entnervt, müde und trotzdem aufgeregt, ebenso traurig wie voll Erwartung – auf den nächsten Besuch. Mit einem Unterschied: Der Blick zurück auf die Skyline wird nie wieder mit dem bekannten Gruß erwidert werden. Dafür steht, vorerst jedenfalls, in der öden Industrielandschaft um den Flughafen Newark, vis-à-vis von Manhattan eine riesige Werbetafel, und man liest sie trotz, nein gerade wegen ihrer Ambivalenz gerne: „You Do Us Proud New York, New York“.

BERND GREINER, 49, Privatdozent für Geschichte an der Universität Hamburg, leitet am Hamburger Institut für Sozialforschung den Arbeitsbereich Theorie und Geschichte der Gewalt. 1999 gab er mit Heinz Bude das Buch „Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik“ (Hamburger Edition, 357 Seiten, 25 €) heraus. Er arbeitet gerade an einem Buch über den Vietnamkrieg

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