: Der Zwang zum Binder
Richter wegen Rechtsbeugung angezeigt: Er schloss einen Anwalt vom Verfahren aus, weil dieser keinen Schlips trug ■ Von Elke Spanner
Wie will man ein ganzes Land regieren, wenn schon ein einzelner Untergebener nicht gehorcht. Wie die Polizei aufrecht durch die Stra-ßen patrouillieren lassen, wenn schon ein Prozesszuschauer bei der Urteilsverkündung nicht gerade steht. Wie die gesamte Polizei in neue Uniformen kleiden, wenn sogar ein einzelner Verteidiger sich dem Befehl zum Krawattentragen widersetzt? Respekt, wusste schon Ronald Schill, verschafft man sich erst im eigenen Saal, dann im ganzen Land. Und ebenso wie dem mittlerweile zum Innensenator aufgestiegenen kleinen Amtsrichter ist es jetzt auch seinem Winsener Kollegen Heinz H. gelungen, sich für sein Regier-Training im Gerichtssaal eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung einzuhandeln: H. hat am vergangenen Mittwoch den Hamburger Rechtsanwalt Ernst Medecke vom Verfahren ausgeschlossen, weil dieser unter seiner schwarzen Robe keine Krawatte trug.
Der Winsener Amtsrichter fühlte sich nicht genügend respektiert. Ihm war vor allem eine würdige Bekleidung der Beteiligten ein Anliegen, und dieses sah er durch den krawattenlosen Verteidiger missachtet. Dennoch schien er zuerst die Angelegenheit mit Humor nehmen zu wollen: H. fragte Medecke, der ihm wohl bekannt ist, ob er der Angeklagte sei. Eine Gelegenheit, den Sachverhalt richtig zu stellen, bot er dem Rechtsanwalt dann allerdings nicht mehr. Ehe Medecke zu seiner Bekleidung Stellung nehmen konnte, war er schon vom Verfahren ausgeschlossen. Pech für seinen Mandanten: Ihm wurde ohne Anwalt der Prozess gemacht – und dadurch, so Medecke, das Grundrecht auf Verteidigung verwehrt.
Medecke hat den selbstherrlichen Richter wegen Rechtsbeugung angezeigt. Dieser habe sehr wohl gewusst, dass das Gesetz von einem Verteidiger keine Krawatte verlangt. Denn es war nicht das ers-te Mal, dass Medecke und H. im Prozessaal aufeinander trafen. Schon im Jahr 1998 waren ihre Ansichten über die angemessene Berufsbekleidung auseinander gegangen. Damals hatte der Präsident des Landgerichts Lüneburg den Amtsrichter darauf hingewiesen, dass die Berufsordnung eine Krawatte nicht erwähnt, diese folglich nicht zwingend zur Berufstracht gehört. „Ich gehe davon aus“, so damals der Gerichtspräsident, „dass sich Wiederholungen nicht ereignen werden.“ Eben wegen jenes Vorfalls aber argumentiert H., Rechtsanwalt Medecke wisse genau, dass bei ihm in den Verhandlungen sehr wohl eine Krawatte getragen werden müsse.
Mit den eigenen Vorstellungen von respektvollen Prozessteilnehmern haben schon andere Karriere gemacht: Schill ließ 1999 zwei Zuhörer in Ordnungshaft nehmen, weil sie bei der Urteilsverkündung nicht gerade gestanden hatten. Heute ist er Senator. Ärgerlich für Amtsrichter H., dass der letzte vakante Posten in der Hamburger Regierung gerade in dieser Woche vergeben worden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen