: Mr. Bush auf dem Eis
Noch steht die Nation fast geschlossen hinter dem Anti-Terror-Präsidenten. Seine innenpolitischen Fehler werden ihn jedoch bald ernsthaft in Bedrängnis bringen
US-Präsident George W. Bush hat es in seinem ersten Jahr geschafft, die Vereinigten Staaten auf strammen Rechtskurs zu bringen. Ohne den 11. September fände sich die Regierung womöglich in einer selbst gewählten Isolation, die auch dem Präsidenten Probleme bringen würde. Heute genießt er hingegen eine Zustimmungsrate in den Umfragen, die ihresgleichen sucht – und es scheint, als ob der Anti-Terror-Krieg als einigendes Element den Sohn Bush als Präsidenten länger trägt als der Golfkrieg den Vater.
Das zusammenbrechende World Trade Center scheint nicht nur 3.000 Menschen erschlagen zu haben. Auch die Opposition rührt sich seither nicht mehr. Die allerdings täte dringend Not. Denn im Windschatten des 11. September verfolgt Bush innen- wie außenpolitisch weiterhin eine Agenda, die mit den Schlagworten Unilateralismus und Klientelwirtschaft besser beschrieben ist als mit vertrauensvoller Zusammenarbeit und Interessenausgleich.
Heute wird Bush die alljährliche Präsidentenrede zur Lage der Nation vor beiden Häusern des Kongresses halten – und er wird sagen, dass die Nation stark und geeint ist und dass sie sich drei Herausforderungen gegenübersieht: die innere Sicherheit zu garantieren, Krieg gegen den Terror zu führen und die wirtschaftliche Erholung einzuleiten. Bushs Reden der letzten vier Monate waren vor allem holzschnittartig: Da gibt es Reiche des Guten und des Bösen, Helden und Schurken, klare Missionen und eine glückliche, starke Nation. Bush redet, als habe er über seiner historischen Aufgabe das Regieren vergessen – und auch der auf Militär und innere Sicherheit zugeschnittene Haushalt, den er nächste Woche vorstellen will, liest sich wahnwitzig und zukunftsfeindlich.
Vorerst aber ist der Rekurs auf den Krieg die letzte Rettung des Präsidenten. Nachdem er vor einem Jahr zum Wahlsieger erklärt worden war, gebärdete sich der ehemalige texanische Gouverneur innen- wie außenpolitisch als trampeliger konservativer Hasardeur, der selbst Parteigängern aus den eigenen Reihen als kompromissunfähig erschien.
Prompt verlor er durch den Parteiaustritt und Fraktionswechsel eines moderaten Republikaners die Mehrheit im Senat. Zwar landete er kurz danach noch seinen bislang größten innenpolitischen Coup, indem er unter dem Schlagwort „Steuersenkung“ ein riesiges Umverteilungspaket von unten nach oben durch den Kongress brachte. Dann aber geriet die Agenda ins Stocken, der von Demokraten kontrollierte Senat zeigte immer mehr Selbstbewusstsein – bis zum 11. September. Seither ist eine bleierne Einigkeit an der Tagesordnung – die der Präsident mit einem Habitus einfordert, als sei jede Kritik an seiner Administration glatter Landesverrat.
Ähnlich stellte sich seine Regierung nach außen dar: In allen wichtigen internationalen Fragen nahm die Bush-Regierung eine zerstörerische Sonderposition ein – ob Biowaffenkonvention, internationaler Strafgerichtshof oder Klimaschutzprotokoll. Schon analysierten Politikforscher in Europa und in den USA die neue internationale Konfrontation zwischen der Alten und der Neuen Welt. Da kam der 11. September, und alles wurde anders. Außer Bush.
Der konservative Kolumnist der New York Times, William Safire, verkündete vor wenigen Tagen unter der Überschrift „Dieser Hund wird nicht bellen“ erstaunt und stolz zugleich, alle Befürchtungen, der Kurs der Bush-Regierung werde die US-Außenbeziehungen in einen Scherbenhaufen verwandeln, seien überzogen gewesen. Das Schlimme ist: Der Mann hat Recht. Niemand wehrt sich. Da haben ganze Regierungen wie etwa die deutsche ihre Mitarbeit bei der Anti-Terror-Koalition mit der Möglichkeit der Einflussnahme begründet – und wenn es darauf ankommt, sind sie mucksmäuschengrau und schweigen still vor sich hin.
Bush gefällt das, wenn er weder Gegner noch Partner ernst nehmen muss. Vielleicht weiß er selbst nicht so ganz genau, ob es nun Angst, Respekt, Opportunismus, Dummheit oder gar echte Pietät ist, die ihm derzeit diese völlige Narrenfreiheit gewährt – aber er ist natürlich gewillt, im Wahljahr davon zu profitieren. Im November stehen das ganze Repräsentantenhaus, rund ein Drittel der Senatssitze und etliche Gouverneursämter zur Disposition, und die Demokraten hoffen seit langem, nach dem knappen Machtwechsel im Senat nun auch im Haus die Mehrheit zu gewinnen. Die Chancen dafür stehen eigentlich nicht schlecht: Angesichts leerer Kassen, längst verbrauchter Haushaltsüberschüsse und eines Präsidenten, der sein politisches Wohl und Wehe an die Frage der Steuerstreichungen geknüpft hat, sähe es den US-Amerikanern ähnlich, Bush einen oppositionellen Kongress vor die Nase zu setzen. Zumindest außerhalb von Kriegszeiten haben die US-Wähler die angenehme Gepflogenheit, Allmachtsfantasien im Weißen Haus gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Das will Bush verhindern, und diese erste Rede zur Lage der Nation, die er halten darf, kann ihm dabei helfen. Schon machen die üblichen Politastrologen die Rechnung auf: Redet Bush zu viel über Wirtschaft und Arbeitslosigkeit, vielleicht gar über den Enron-Skandal, dann ist er zwar nahe dran an den Sorgen der Menschen, bietet aber Angriffsfläche für seine Gegner im Kongress. Spricht er nur über die äußere Bedrohung, den Krieg gegen den Terror und die innere Sicherheit, wird er kaum Widerspruch ernten – kann sich gar unter Anwesenheit des afghanischen Regierungschefs Hamid Karsai als Befreier des afghanischen Volkes feiern lassen –, redet aber an den Sorgen vieler Menschen vorbei.
Dieser Widerspruch aber ist in Bushs Politik selbst angelegt – und irgendwann wird er dafür die Quittung bekommen. Abgesehen von seinem Bildungspaket, das er vor einigen Wochen vorstellte, hat er bislang außer ideologischem Rollback wenig zu bieten. Und die Grundzüge des Haushalts, den er dem Kongress in der nächsten Woche präsentieren will, zeigen Ausgabenerhöhungen von rund 9 Prozent – ein jammervolles Ergebnis für die Republikaner, die stets nach dem schlanken Staat rufen.
Bushs Regierung wird von der Krise getragen wie einst der New Market von der Spekulationsblase. Es ist nicht die von linksintellektuellen und liberalen Kritikern belächelte Ungeschicklichkeit des Präsidenten bei seiner Wortwahl, die ihn beim Volk irgendwann unbeliebt machen wird – das hat Helmut Kohl auch nie geschadet. Was Bush zum Verhängnis werden kann, ist die Arroganz, mit der er jegliche Dissidenz ausgrenzt und interessengeleitete Politik unter dem Deckmantel der Terrorkrise versteckt. Bush hat keinerlei Skrupel, die Opfer für seinen polarisierenden Kurs zu instrumentalisieren. Ewig aber geht das nicht. Irgendwann, so hieß es schon in dem alten Klein-Erna-Witz, als die ganze Familie bei Glatteis die Urne der Tante zu Grabe trägt und alle dauernd auf die Nase fallen, irgendwann ist Schluss mit der Pietät. Dann wird gestreut. BERND PICKERT
Autorenhinweis:Der Autor ist taz-Auslandsredakteur und u. a. zuständig für Amerika. Weil die USA wie der Islam eigentlich gar nicht so gemein sind, hat er keine Skrupel, gelegentlich mit seinen Kindern ein Hamburgerrestaurant zu besuchen.
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