: SPD: Augen zu und ab durch die Mitte
Müntefering stellt ein Strategiepapier vor – und hofft: „Die Wahl wird in den letzten sechs Wochen entschieden“
BERLIN taz ■ Wie ernst die Lage bei der SPD gesehen wird, lässt sich an den Auftritten von Franz Müntefering ablesen. Der SPD-Generalsekretär hat ein untrügliches Gefühl für die Stimmung in der Partei. Und die ist schlecht. So schlecht, dass selbst dem routinierten Parteimanager mit seinem bekannt trockenen Humor das Scherzen vergeht. Kein Wunder: So ein schönes „Strategiepapier“ hatte er zur gestrigen Präsidiumssitzung mitgebracht, lauter tolle Ideen für den Wahlkampf aufgeschrieben – und dann interessierte sich keiner dafür. „Die Wahlkampfstrategie wurde nicht weiter diskutiert“, musste Müntefering nach der Sitzung zugeben. Stattdessen ging es wieder nur um Pleiten, Pech und Pannen. Um Schily, Scharping, Eichel.
„Wir haben nichts beschönigt“, berichtete Müntefering, die Fehler beim NPD-Verbotsverfahren seien „höchst ärgerlich und fatal“. Und natürlich sei man sich bewusst, dass schon am heutigen Dienstag die nächste schlechte Nachricht kommen könnte, wenn das Verfassungsgericht über die Finanzierung der Airbus-Flugzeuge entscheidet. Müntefering gestern eher fatalistisch: „Da kann man am Montag nur abwarten.“
Müntefering so zahm wie nie: keine Vorwürfe an die Opposition, nicht einmal ein kleines Sticheln gegen den angeschlagenen Generalsekretärs-Kollegen Goppel von der CSU. Gar nichts. Zu sehr ist die Bundesregierung – und speziell die SPD-Minister – in die Defensive geraten. Was bleibt, ist die stille Hoffnung auf bessere Zeiten: „Die Wahl wird in den letzten sechs Wochen entschieden, nicht jetzt.“
Was sich bis zum September bessern soll, wusste Müntefering nicht zu sagen. Nur wo die Wahl entschieden wird, das weiß er: in der Mitte. Deshalb hat er seiner Partei ein Papier mit auf den Weg gegeben, das „Die Politik der Mitte in Deutschland“ beschreibt, das „ein wichtiger Schritt hin zu unserem Wahlprogramm“ sein soll und das wohl als Orientierung in der Not gedacht ist. Angesichts der aktuellen Probleme von Arbeitsmarkt bis Zuwanderung bleibt es aber mehr als vage. Es dürfte den verunsicherten Genossen auch nicht wirklich weiterhelfen, wenn Müntefering rät: „Bei der Formulierung der Politik sind die unterschiedlichen Interessen zu beachten, die in der Gesellschaft aufeinander treffen.“ Auf eine Fortsetzung von Rot-Grün will er sich nicht festlegen, stattdessen schreibt er: „Wir wollen eine Koalition mit den Menschen.“ Und eine „Allianz für die Familie“. Familienpolitik als Wahlkampfthema? Immerhin ist die zuständige SPD-Ministerin Bergmann nicht durch negative Schlagzeilen aufgefallen. Ehrlich gesagt, ist sie überhaupt noch nicht aufgefallen. Aber sie passt gut zum neuen SPD-Motto: Augen zu und ab durch die Mitte. LUKAS WALLRAFF
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