: Vom Kampf um die Fleischtöpfe
Die EU-Kommission will mit dem Plan, im Osten weniger Subventionen zu zahlen, auch die Altmitglieder zu Reformen zwingen. Meinen Agrarexperten
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Bevor das Verhandlungsangebot der EU auf dem Tisch liegt und das Feilschen zwischen Altländern und Kandidaten um die begehrten Agrarsubventionen beginnt, haben alle Beteiligten sich ihre Meinung schon gebildet. Denn in den letzten Tagen sickerten die Eckpunkte des Positionspapiers durch, auf das sich die Mitglieder der EU-Kommission heute in Brüssel einigen wollen.
Wie er sich die Quadratur des Kreises zwischen den Punkten Haushaltsdisziplin, Chancengleichheit und Besitzstandswahrung vorstellt, hat Agrarkommissar Franz Fischler den Journalisten schon vor einem Jahr in die Notizblöcke diktiert: Er wolle eine Übergangsregelung mit einem allmählichen Einstieg in die Brüsseler Subventionen. Nur ein kleiner Teil davon solle sofort an die Bauern direkt gezahlt werden – der Rest fließe in Förderprogramme für den ländlichen Raum.
Im Prinzip spiegeln die Agrar-Leitlinien der Kommission Fischlers Überlegungen wider. Die neu aufgenommenen Bauern sollen im Beitrittsjahr – vermutlich 2004 – ein Viertel dessen direkt erhalten, was den Bauern in der alten EU zusteht. 2006, wenn die Finanzplanungsperiode endet, sollen sie bei 35 Prozent Direktbeihilfen angekommen sein. Erst 2013 wäre nach diesem Modell ein polnischer Bauer seinem Kollegen in Frankreich gleichgestellt.
Nationale Landwirtschaftsbeihilfen der neuen Mitgliedsländer sollen entsprechend erst allmählich auslaufen. Außerdem will die Kommission bis zu 50 Prozent mehr Mittel für Landschaftspflege, neue Beschäftigungsmöglichkeiten wie Tourismus und Modernisierung der Höfe bereitstellen als in den Altländern. Kleinbauern sollen unabhängig vom Ertrag ihrer Betriebe eine pauschale Unterstützung bekommen. Davon würden allein in Polen 350.000 Familien profitieren.
Den von den Regierungschefs gesteckten Finanzrahmen der Agenda 2000 will die Kommission dabei einhalten. Allerdings rechnet sie fest mit elf Milliarden Euro, die in diesem und dem kommenden Jahr nicht gebraucht werden, weil frühestens 2004 neue Mitglieder in die EU kommen. Die EU-Nettozahler mit Deutschland an der Spitze wollen aber, dass diese Mittel in die nationalen Haushalte zurückfließen.
Hilmar von Münchhausen, der Agrarexperte des World Wildlife Fund, hält den Kommissionsvorschlag für einen akzeptablen Kompromiss. Während in der alten EU 90 Prozent des Budgets in Direktzahlungen und nur 10 Prozent in die ländliche Entwicklung investiert würden, sei für die neuen Länder geplant, ein Drittel des verfügbaren Geldes für ländliche Entwicklung auszugeben. Er hoffe, dass in der neuen Finanzperiode ab 2007 ein allmählicher Ausstieg aus produktionsabhängigen Agrarsubventionen für die ganze EU möglich werde.
Auch der Vizevorsitzende des Agrarausschusses im Europaparlament, der grüne Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf bewertet die Kommissionsvorschläge als einen „Schritt in die richtige Richtung“. Vor allem die geplante Pauschale für Kleinerzeuger, die produktionsunabhängig gezahlt werden soll, sei auch für die alten EU-Länder der richtige Weg. Positiv sei auch der Plan, Struktur- und Kohäsionsgelder in die ländliche Entwicklung umzulenken. Werde allerdings die im Kommissionsentwurf vorgesehene zehnjährige Übergangsfrist aufrechterhalten, in der die Neuen weniger Geld aus Brüssel bekämen als ihre Kollegen aus der jetzigen EU, werde es Probleme geben. Für die Bauern aus den alten EU-Ländern entstünde dadurch ein Wettbewerbsvorteil, der nicht akzeptabel sei. „Die Kommission müsste stattdessen offen zugeben, dass auch in den Altländern die Direktzahlungen in ihrer bisherigen Form nicht beibehalten werden können“, sagte Graefe zu Baringdorf der taz.
Der nun drohende Konflikt wäre nur zu vermeiden gewesen, wenn sich die alten Mitgliedsstaaten rascher von lieben Gewohnheiten verabschiedet hätten. Schon vor einem Jahr hat die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Studie darauf hingewiesen, dass eine Erweiterung unter den jetzigen Subventionsregeln noch mehr Lebensmittelüberschüsse zur Folge haben wird und den Gemeinschaftshaushalt sprengt. Gegen den nun angepeilten Kompromiss aber wehren sich die Kandidatenländer.
Reaktionen aus allen politischen Kreisen in Polen machen deutlich, dass dort die Direktzahlungen zum Zeichen voller politischer Gleichberechtigung in der EU stilisiert werden. Auch in Ungarn, wo die Mehrheit noch immer positiv zum EU-Beitritt eingestellt ist, will der Vorteil einer langen Übergangsphase niemandem einleuchten. „Wir wollen hundert Prozent“, erklärte ein Sprecher der ungarischen Vertretung bei der EU gestern gegenüber der taz. Agrarexperte Graefe zu Baringdorf vermutet, dass die EU-Kommission mit dem Streit um die Fleischtöpfe den Druck auf die Mitgliedsstaaten erhöhen will, das ganze System im Rahmen der Halbzeitrevision im Sommer neu zu organisieren.
Besser wäre es aus seiner Sicht gewesen, die Reform des Subventionsunwesens nicht mit Hilfe wütender Bauernproteste im Osten voranzubringen. Vielmehr hätten Rat und Kommission begreifen müssen, dass die Erweiterungsverhandlungen zum Kapitel Landwirtschaft erst eröffnet werden können, wenn die EU ihre Hausaufgaben in Sachen Agrarreform gemacht hat.
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