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Vom Kronprinzen zum Hofnarren

aus Hamburg PETER AHRENS

Der Vorplatz des Hamburger Hauptbahnhofs wird neuerdings mit klassischer Musik beschallt. Das diene nicht nur dem „Wellness-Gedanken“, haben die Bahnmanager festgestellt, es vertreibe auch die Junkies und Obdachlosen. Dies sei ein „Nebeneffekt“, auf den man „wohl gehofft“ habe, bemerkt das Hamburger Abendblatt lakonisch. Es ist ungemütlicher geworden in der Hansestadt. Seit genau drei Monaten regieren CDU-Bürgermeister Ole von Beust und Innensenator Ronald Schill diese ursozialdemokratische Stadt, und die Opfer ihrer Politik sind jetzt schon ausgemacht: Sozialhilfeempfänger, Drogenhilfen, Aids-Projekte. „Der Sozialbereich gehört nicht zu den Schwerpunkten unserer Politik“, gibt CDU-Finanzsenator Wolfgang Peiner, der starke Mann im Senat, die Richtung vor.

Der Senat Ole von Beusts hat andere Prioritäten: Mittel frei für die Polizei, heißt das Motto, und unter dieser Überschrift wird im Haushalt massiv umgeschichtet. Die Aids-Vorsorge zum Beispiel erhält 70.000 Euro weniger, und für den Bau von neuen Radwegen wird kein Cent mehr bereitgestellt. Ansonsten macht die neue Regierung vor allem über Symbole Politik. Die neue Kultursenatorin Dana Horakova, die der Senat nach quälender monatelanger Suche nun im Feuilleton der Bild -Zeitung aufgetan hat, träumt davon, das Rathaus von Christo verhüllen zu lassen. Plakativ baut Schill für die Medien eine Blitzanlage ab, um die „Beutelschneiderei der Autofahrer“ zu beenden. Und als wolle er das Etikett des Populisten um jeden Preis bestätigen, kämpft Schill fast manisch darum, die Hamburger Polizei künftig in schmucken blauen Uniformen herumlaufen zu lassen.

Damit kann Schill aber nicht verdecken, dass er politisch bisher ein Nullsummenspiel abgeliefert hat. Schon fangen seine Wähler an, unzufrieden zu werden – weil sie auch in den Schill-Hochburgen, den unwirtlichen Vorstädten Wilhelmsburg und Steilshoop, merken, dass es ihnen nicht besser geht, wenn am Hauptbahnhof ein paar Polizisten mehr patrouillieren und zur selben Zeit ihre Sozialhilfe gekappt wird. Die Schill-Partei hat in neuesten Umfragen bereits über vier Prozent gegenüber dem Wahlergebnis von 19,4 Prozent verloren, und die offizielle Kriminalitätsrate in der Stadt, die Schill mal großspurig in drei Monaten halbieren wollte, ist seit seinem Amtsantritt noch einmal nach oben gegangen. Statt sich auf Hamburg zu konzentrieren, zerfranst sich der Vorsitzende mit der Ausdehnung seiner Partei auf andere Bundesländer – dieses Wochenende ist die Gründung eines Landesverbandes der „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ in Sachsen-Anhalt geplant.

Zusätzlich haben er und der von seiner Partei gestellte Bausenator Mario Mettbach sich bereits innerhalb kurzer Zeit heillos in Filzaffären verstrickt: Mettbach ernannte seine Lebensgefährtin zur persönlichen Referentin und nahm dies erst nach tagelanger öffentlicher Diskussion zurück. Schills Büroleiter in der Innenbehörde, Dirk Nokkemann, kassiert als Bürgerschaftsabgeordneter doppeltes Gehalt, und ein weiterer treuer Schill-Parteigänger erhielt in der Innenbehörde einen eigenen Schreibtisch hingestellt, obwohl selbst die leitenden Beamten nicht wussten, welche Aufgabe der Mann zu erfüllen hatte. Die Partei, die im Wahlkampf am heftigsten der SPD wegen Filzvorwürfen ans Zeug geflickt hatte, erschien nun als diejenige, die sich nach dem Wahlsieg die Posten ungehemmt zuschachert.

Als sei das noch nicht genug, sorgt Schill mit seinem Lebenswandel für Schlagzeilen: Wiederholt sieht er sich mit hartnäckigen Gerüchten konfrontiert, die ihn in Verbindung mit Kokain-Konsum bringen (siehe Kasten). Als Behördenchef komme er spät und gehe früh, wird in seinem Haus gespöttelt: Als in der Vorwoche der Innenausschuss der Bürgerschaft den Haushalt der Behörde beriet, verabschiedete sich Schill vorzeitig, murmelte etwas von einem wichtigen Termin und wurde anschließend bei einer Nobelfete des Partykönigs Michael Ammer gesichtet.

Das Regieren überlässt Schill lieber der CDU. Die konnte in den vergangenen drei Monaten schalten, wie sie wollte. Das Kalkül Ole von Beusts scheint aufzugehen: Schill ist die Medienfigur, zur Not auch der Prügelknabe des Senats. Und dahinter macht die CDU ungehindert Politik und zieht die Daumenschrauben an.

CDU-Wirtschaftssenator Gunnar Uldall hat ein Viertel der ABM-Stellen gestrichen, seine Kollegin Birgit Schnieber-Jastram macht im Sozialressort klare Kante. „Ich wüsste nicht, warum man eine Beratung speziell für Frauen braucht“, begründet sie, warum die Frauenberatungen ein Drittel ihrer Förderung verlieren. Im Justizressort wandelt CDU-Senator Roger Kusch den offenen Vollzug in geschlossene Haftplätze um und setzte den gewaltsamen Brechmitteleinsatz gegen Drogendealer auch dann unbeeindruckt fort, als im Dezember ein 19-Jähriger aus Kamerun dabei ums Leben kam.

Die Koalition hat übrigens auch noch einen dritten Senatspartner, doch das merkt man nicht. Die FDP, mit 5,1 Prozent so eben in Bürgerschaft und Senat gerutscht, wird von den beiden stärkeren Koalitionspartnern komplett umgepflügt. Schulsenator und Konteradmiral a.D. Rudolf Lange fiel als einziger FDP-Senator bisher vor allem dadurch auf, dass er den Lehrern mehr Bestrafungsmöglichkeiten im Unterricht an die Hand geben will. Ansonsten weilte er im Urlaub, als der Etat seiner Behörde vom Parlament beraten wurde.

Dies alles findet vor einer Kulisse statt, in der Opposition nicht vorkommt. Als Ole von Beust und Ronald Schill am 31. Oktober des Vorjahres ihren Amtseid leisteten, gingen noch 3.000 Menschen dagegen demonstrierend auf die Straße. Seitdem ruht der See still. Die Künstlerinitiative gegen Schill, die sich mit Namen wie Ralph Giordano oder Marius Müller-Westernhagen geschmückt hatte, hat sich in Luft aufgelöst. Die meisten sozialen Träger, Drogenhilfen und ABM-Anbieter ducken sich weg und hoffen, durch Stillhalten an finanzieller Förderung zu retten, was zu retten ist. Und die autonome Linke rund ums Schanzenviertel arbeitet sich mit Vorliebe an der Frage ab, ob man mit den vormals Regierenden von SPD und GAL Bündnisse eingehen darf oder dadurch denen die Hand reicht, die ebenfalls munter Flüchtlinge abgeschoben haben. Schließlich war es der SPD-Innensenator und Parteichef Olaf Scholz, der im vergangenen Sommer die Brechmitteleinsätze in Hamburg einführte.

Innerhalb der Bürgerschaft ist es mit der SPD ausgerechnet die Partei, die die Stadt 44 Jahre als ihr ureigenes Regierungsobjekt betrachtete, die jetzt die Attacke auf den Senat reitet. Geradezu beunruhigend ruhig – ohne Diadochenkämpfe und Dolchstoßlegenden – wechselte sie ihre Rolle und ist nun diejenige, die die Schwächen des Senats aufzeigt, wobei sie souverän ignoriert, dass sie nun manches von dem ablehnt, was sie selbst initiiert hat. Olaf Scholz hat die Partei auf Kurs gebracht, und selbst die Demontage von Exbürgermeister Ortwin Runde, der auf internen Druck auf den Fraktionsvorsitz verzichten musste, geschah beinahe geräuschlos. Die Grün-Alternative Liste (GAL) tut sich erheblich schwerer mit ihrer neuen Rolle. Bei den meisten Initiativen und Trägern hat sie in der Regierungsbeteiligung an Sympathien eingebüßt. Zudem sind die personellen Alternativen dünn, die Hoffnungen, die in die neue Parteichefin Kristin Heyne gesetzt wurden, sind mit dem frühen Krebstod Heynes in dieser Woche jäh beendet.

So haben Schill und Co. momentan eher mehr mit sich selbst als mit dem politischen Gegner zu kämpfen. Aber es ist ja auch nicht alles schlecht, was der Senat macht: Ab sofort darf beim Fußballbundesligisten Hamburger SV wieder Vollbier ausgeschenkt werden.

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