: „Kontrolle des unsichtbaren Feindes“
Vor dem Weltsozialforum mahnt der brasilianische Vordenker José Luís Fiori eine Phase der „stärkeren Reflexion“ an. Die Globalisierung generiere ein „Repressionsnetz“, das „Hannah Arendt Schauer über den Rücken jagen würde“
taz: Herr Fiori, was heißt Globalisierung für Sie?
José Luís Fiori: Der US-Ökonom J. K. Galbraith hat 1997 gesagt: „Wir Amerikaner haben dieses Konzept erfunden, um unsere Politik der wirtschaftlichen Durchdringung anderer Länder zu verschleiern.“ Genauer könnte man sagen, es sind Veränderungen, die in den Siebzigerjahren begannen und sich in den Neunzigerjahren beschleunigten: vor allem der Zusammenschluss der nationalen Kapitalmärkte und die Bekräftigung der nordamerikanischen imperialen Macht. Die Globalisierung ist nicht ein rein ökonomisches Phänomen und schon gar nicht ein technologischer Zwang. Sie hat auch nicht die Macht der Nationalstaaten aufgehoben, die immer schon durch ihre Rivalitäten begrenzt war.
Was hat sich seit dem 11. September verändert?
Jetzt finden Abrechnungen und Neupositionierungen statt. Im Schatten eines breiten Konsenses gegen den Terrorismus suchen zweitrangige Großmächte ihren neuen Platz auf dem internationalen Schachbrett, etwa Japan, Russland und Deutschland. Es ist, als würden sie ihre geopolitische Agenda aus den Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg wiederaufnehmen.
Ist Bin Laden das neue Feindbild, das sich die USA so lange gewünscht hatten?
Ja, es gibt eine neue Art von Bipolarität. Daraus entstand die so genannte Bush-Doktrin, eine neue Strategie zur Kontrolle des Feindes, doch mit einem entscheidenden Unterschied und unabsehbaren Folgen: Der neue Feind ist unsichtbar und global, und während der langen Perioden seiner Unsichtbarkeit werden seine Absichten und Strategien von den USA definiert. Eine seltsame Bipolarität, bei der beide Kommandozentralen quasi den USA gehören. Außerdem soll ja die Kontrolle des unsichtbaren Feindes umfassend und jahrzehntelang dauern, wie der US-Vizepräsident Dick Cheney angekündigt hat. Es entsteht also gerade ein unsichtbares globales Kontroll- und Repressionsnetz, das Hannah Arendt Schauer über den Rücken jagen würde.
INTERVIEW: GERHARD DILGER
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