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Gemeinschaft stiftend

Eine erotische Revue eröffnet heute die Abaton-Filmreihe zur Ausstellung „Nackt“  ■ Von Dietrich Kuhlbrodt

Heute um 20 Uhr läutet Abaton-Chef Werner Grassmann in seinem Kino die „Nackt!“-Filmreihe ein. Im Februar und März werden dort Filme laufen, die, wenn sie nicht Kunst wären, allerlei Sequenzen aufwiesen, die als Porno durchgehen könnten. Vor dreißig Jahren nannte das Abaton das, was die Woche durch in der Nachtvorstellung lief und keineswegs immer Kunst war, noch Erotikfilme. Grassmann wird – unter dem Titel „Erotik im Untergrund“ – Beispiele zeigen, und es darf gelacht werden. Seinerzeit wurde das Erotik-Programm allerdings ernst genommen. Das Kino war proppenvoll, und ich erinnere mich lebhaft an die grandiose Stimmung.

Grassmanns Mitternachtssex war eine Institution in Hamburg. Die Studenten gingen hin. Ich auch. Obwohl ich frühmorgens Dienst als Jugendstaatsanwalt hatte. Haben wir uns im Abaton abreagiert? Irgendwie schon, aber wir dachten gar nicht daran, zu diesem Zweck woanders hinzugehen, in die „Fickfilme“, die zur gleichen Zeit in einem Exrestaurant Lehmweg, Ecke Curschmannstraße in meterhohen Lettern angekündigt wurden. Wir blieben im Schutzraum des Campus und reagierten auf den Diskursüberschuss der Welterklärungen, mit denen wir seit 1968 überversorgt worden waren. Sex und Porno, Fromm und Reich waren medial aufbereitet neu, aber nach wie vor akademisch abgesichert.

Tags wurde das, was wir im Abaton gesehen hatten, theoretisch dekliniert. Peggy Parnass stellte die Frage: „Pädophiler Sex, ja oder nein?“ Auch Kinder sind sex- und liebesbedürftig. Die Frage war also zu bejahen. Theoretisch gab es kein Problem. Bloß ich hatte ein praktisches. Ich war Vater, und, Moment mal, die Kinder waren doch noch so klein. Alle rannten zum Erotik-Abaton, um sich reinzuziehen, was intellektuell nicht bewältigt war. Nachts die Sau rauslassen, tags Theorien verbraten. – War das schizophren? Wenn man sich nachts jemanden ins Bett holte, war das, was dann passierte, praktizierter Porno? Warum gabs dafür keine Bilder? Wer versagte die Lizenz? Der böse Staatsanwalt?

Die Erotikfilme des Abaton lieferten die Bilder, die alle brauchten. Anfang der siebziger Jahre war Schluss mit der Zeit, in der Sex auf der Leinwand verboten war. Wer hinging, kriegte seine diversen Seiten wieder zusammen. Ich kriegte mich ein. Und warum griffen die Kollegen von der Staatsanwaltschaft nicht ein? Wir saßen in einem Schutzraum. Die Pornos waren nicht Pornos, sondern Teil der gerade neu etablierten Subkultur: des Underground, auch Avant-garde- oder Experimentalfilm genannt. Wenn in „Kelek“ von Werner Nekes in Großaufnahme der Penis in die Vagina eindrang, dann war das damals ein Tabubruch und übte neue Sehgewohnheiten ein. Es galt diese zu lernen – wie all das, was man auf der Uni sonst auch tat. Wir waren Elite, auch Speerspitze irgendwie und trugen gesellschaftliche Verantwortung. Im Abaton war es voll, miefig, die Klimaanlage war noch nicht eingebaut, und wir waren eine Gemeinschaft.

Dreißig Jahre später hat die Erotik-Reihe 2002 immer noch einen Schutzraum aufgesucht. Die Filme werden als Museums-Exponate vorgeführt: Sie laufen zur „Nackt!“-Ausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe, und die Nacktheit ist nicht nackt, sondern „inszeniert“. Klarer Fall. Außerdem ist gleich der erste Film, Intimacy, bekleidet, und zwar mit dem Goldenen Bären der Berlinale. Das geht in Ordnung. Denn die Filme selbst kommen im Gewand der Kunst und Kultur. Die Bettlektüre von Peter Greenaway schreibt große Literatur auf nackte Haut. Das Geheimnis – Le secret und Romance sind – sehr unterschiedliche – Selbsterkundungen einer Frau. Erst im März wird es mit den Erotischen Fragmenten des Walerian Borowczyk und vor allem mit dem Hamburger Skandalfilm aus dem Jahr 1983, Catch Your Dreams, zur Sache gehen, was bedeutet, dass Sie sich den 25. März schon mal vormerken sollten.

„Erotik im Untergrund“: heute, 20 Uhr; Intimacy: 7.–13. (tägl. 15 Uhr, außer Sa, 13 Uhr, So, 22.30 Uhr), Abaton; die Reihe wird fortgesetzt

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