: Tote nur wenn‘s gefällt
Wo sind die afghanischen Opfer? Wo die Kriegsgegner? Wo ist die Gegenöffentlichkeit? Diese und einige Fragen mehr stellten Medienschaffende und -kritiker in Münster
„Ist es Antiamerikanismus, den Hintern von Jennifer Lopez zu kritisieren?“ fragte Roger Willemsen. Immerhin schaffte es der Po auf Platz 69 der „100 Gründe, Amerika zu lieben“, die Bild nach dem 11. September lieferte.
Nach dem Golfkrieg und dem Krieg im Kosovo hatten sich etliche hochrangige Medienschaffende in Deutschland kritisch und selbstkritisch über die Berichterstattung geäußert. Gebracht hat es wenig. Die Folgenlosigkeit dieser Selbstkritk war Thema des Kongresses „Vom Fernsehbild zum Feindbild“ in Münster. Eingeladen hatte die Bertha-von-Suttner-Stiftung der deutschen Friedensgesellschaft.
Die „merkwürdige Defensive“ der KriegsgegnerInnen sei größer denn je, erklärte Willemsen – zunehmend auch in traditionell links-liberalen Medien. Was nicht nur an den Linien der Sender und Verlage liege, sondern daran, dass viele Journalisten tatsächlich an den „humanitären Krieg“ glaubten. Willemsens Fazit: „Keine Diktatur hätte das besser durchsetzen können“.
Beklagt wurde in Münster auch die mediale Marginalisierung der Friedensbewegung. Alte Klischees von „Naivität“ und „Emotionalität“ würden wieder aufgewärmt, mittlerweile selbst in taz und FR. Wo bleibt die Gegenöffentlichkeit? Medienwissenschaftlerin Elvi Claßen sah die Rettung abseits der etablierten Medien: im Internet. Und stieß damit bei Willemsen und Volker Steinhoff („Panorama“) auf Widerstand: Zu groß sei die Gefahr von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien.
In der Berichterstattung scheint es zwei Klassen von Opfern zu geben. Einerseits wurden die Bilder von den einstürzenden Türmen des 11. September und den amerikanischen Opfern zu einem Dauervideoclip. Andererseits verzichteten die Sender darauf, Bilder von misshandelten oder getöten Taliban zu zeigen. Die gäben freilich kein gutes Bild ab in der Heimat.
Eine Zensur der neuen Art hat Matthias Werth („Monitor“) ausgemacht: die der Informations-Überflutung. Seien Journalisten im Golfkrieg noch die „bad guys“ gewesen, hätten die Presseabteilungen der Militärs und Regierungen seither die Strategie gewechselt. Permanente Hintergrundgespräche und Briefings sind nun an der Tagesordnung.
Am Ende der Münsteraner Tagung stand die Verabschiedung einer „Münsteraner Erklärung“: zur Erarbeitung einer Gegenöffentlichkeit und gegen den Missbrauch von Medien für Kriegspropaganda. Es sollte ein Anfang sein. MARCUS TERMEER
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