: „Das wäre Wahnsinn“
■ Reaktion auf taz-Bericht: Jugendpsychiater wollen keine geschlossene Abteilung als Ersatz für Plätze in der Jugendhilfe
Als „Wahnsinn“ hat Kinderpsychiater Peter Riedesser den Vorschlag zurückgewiesen, eine geschlossene Jugendpsychiatrie einzurichten. „Wir sind kein Gefängnis. Wir ersetzen keine geschlossenen Plätze in der Jugendhilfe“, sagt der Leiter der Abteilung für Kinderpsychiatrie und Psychotheratie der Uniklinik Eppendorf zur taz.
Riedesser bezieht sich auf die Äußerungen des Jugendhilferechtlers Christian Bernzen, der am Freitag in der taz prophezeit hatte, geschlossene Heime würden leer bleiben, weil man Kinder nur einsperren dürfe, wenn sie sich selbst gefährden. Für diese Ausnahmen wäre eine geschlossene Abteilung in der Kinderpsychiatrie sinnvoller.
Dieser Streit – in dem sich die Fachdiziplinen den schwarzen Peter zuschieben – ist schon jahrealt. Riedesser, der am UKE Mitte der 90er die so genannte Crash-Kids zu betreuen hatte, die sich selbst gefährdeten, weil sie ohne Führerschein mit geklauten Autos fuhren, ist der Überzeugung, dass die Jugendhilfe eine „haltende Intensivpädagogik“ anbieten müsse, „wo die Kinder gezwungen sind, auf Jahre in Beziehungen zu bleiben“. Geschlossene Heime mit 100 bis 200 Plätzen, wie die Schill-Partei sie ankündigte, hält allerdings auch er für „Horrortrip“: „Wer je so ein Heim erlebt hat, wird dies nicht befürworten.“
Christian Bernzen indessen bleibt bei seiner Position: „Kinder darf man nur einsperren, wenn es gar nicht anders geht, weil sie sich sonst selbst gefährden.“ Wenn dies nötig sei, „hat es auch einen relevanten pathologischen Anteil, wie zum Beispiel ein Suchtproblem, das medizinisch zu lösen ist“. Er selbst habe gerade erst den Fall einer 15-jährigen Schwangeren betreut, die drogenabhängig war und auf den Strich ging. Weil es keine Kinderabteilung in der Psychiatrie gebe, habe ein Vormundschaftsrichter sie bis zur Entbindung in die Erwachsenenpsychiatrie einweisen müssen. Bernzen: „Das halte ich für die noch schlechtere Lösung.“
Uneins sind sich die Experten auch in der Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der Paragraf 1631 b erlaubt laut Riedesser auch dann Kinder einzuschließen, wenn sie Fremde gefährden. „Das war nur bis 1990 nach dem alten Fürsorgegesetz möglich“, beharrt hingegen Bernzen. Heute sei Freiheitsentzug für Kinder nur bei Selbstgefährdung erlaubt. Bernzen: „Einen jugendlichen Gewalttäter kriegen sie nicht in einer geschlossenen Jugendhilfeinrichtung unter.“ Eingesperrt werden könnten diese nur nach einem Strafprozeß von der Justiz.
Einig sind sich die Experten, dass dieses Thema im Wahlkampf missbraucht wurde. So entspricht die von Schill angegekündigte Zahl von 200 Heimplätzen der bundesweiten Kapazität. Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram will im Frühjahr ein Konzept für eine geschlossene Unterbringung vorlegen. In Trägerkreisen kursiert das Gerücht, das diese in die Uckermark an der Grenze zu Polen verbannt werden soll. Ganz weit weg scheint die Devise zu lauten. Kaija Kutter
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