piwik no script img

Der Mann mit der Maske

Mikki Wood ist neben vielen Teilzeitjobbern der einzige hauptamtliche Erschrecker im Gruselkabinett am Anhalter Bahnhof. Vermittelt hat die ungewöhnliche Anstellung das Arbeitsamt. Nun verpasst er den Besuchern die angemessene Dosis Horror

von HENNING KRAUDZUN

Die bleiche Fratze steckt überall. Aus dem dunklen Nichts taucht sie auf, aus wabernden Nebelschwaden, hinter der nächsten Ecke. Brüllend stürzt sie auf den ahnungslosen Besucher des Gruselparcours los – und verschwindet genauso schnell wieder in der Dunkelheit. Mit dieser bösartig grinsenden Todesmaske rechnet keiner. Ein Schrecken fährt auch den hartgesottenen Horrorfreaks in die Glieder. Denn alles ist live und kommt nicht aus der Konserve. Aber die Gemeinheiten des durch die Gruselräume huschenden Phantoms sind keine perfiden Scherze, sondern harte Arbeit. Auch das Erschrecken will gelernt und in einer Schicht durchgestanden sein.

Die düsteren Gestalten, die anderen Leuten ein eisiges Frösteln in die Glieder zaubern, sind Angestellte im Gruselkabinett am Anhalter Bahnhof. Für sie ist es vor allem Arbeitsroutine, die sie in die feuchten Bunkerräume treibt. Gleich neben der Kasse am Eingang hängt ihr Dienstplan – Erschrecken will organisiert sein.

Dabei können die professionellen Gruseleinheiten nur durch internationale Zusammenarbeit bewerkstelligt werden. Das Erschreckerteam kommt aus der ganzen Welt: aus Russland, Indien, Palästina, Österreich, der Mongolei und Polen. Zumeist sind es Studenten, die im Geisterbunker auf Teilzeitbasis jobben.

Nur Mikki Wood ist fest angestellt. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen, da sonst der Respekt vor seiner Arbeit noch weiter gefährdet wäre. Nach einigen Reportagen im Fernsehen hatten Besucher schon seinen Namen gerufen und ihn dadurch selber verwirrt. „Man kommt nicht mehr zum Erschrecken“, sagt Mikki. „Anonymität ist für den Gruseleffekt wichtig.“

Seinen ungleich berühmteren Vorgänger Dieter Gröhling, der ebenfalls eine 40-Stunden-Woche zwischen überwucherten Gräbern, fauchenden Orks und wackelnden Vampiren ableisten musste, hatte es dabei noch viel schlimmer erwischt. Fast jeder kannte das Gesicht hinter der Maske.

Bis Mikki Wood als Chef-Erschrecker über das Arbeitsamt gefunden wurde, vergingen für Marlit Friedland mehrere Monate intensiver Suche nach einem geeigneten Bewerber. „Als ich dort anrief, dass ich einen Erschrecker bräuchte, haben die mich sogar ernst genommen“, sagt Friedland, die Geschäftsführerin des Gruselkabinetts. Dennoch sei ihre Anfrage zuerst in die falsche Kategorie eingeordnet worden, in die Sparte „Security“. Daraufhin meldeten sich durchtrainierte Muskelprotze und Bodyguards, aber nicht der Geeignete für den Gruseljob. Erst danach sortierte man ihre Anfrage unter „Bühne/Schauspiel“ ein.

Friedland selbst suchte sogar in der Politik: „Ich fragte Gerhard Schröder in einem Brief, ob er nicht einmal den Promi-Erschrecker machen will“, erzählt Friedland. Damit er die Leute mal richtig erschreckt, nicht nur durch lapidare Steuererhöhungen. Eine Antwort steht bis heute noch aus.

Ein bisschen schauspielerisches Talent gehöre schon zum Job, sagt Mikki, der seit einem halben Jahr jeden Tag im Bunker sein Unwesen treibt. „Man muss das im Blut haben und die Routine mögen.“ Langweilig werde es jedenfalls nie, da man sich auf jeden Besucher anders einstellen müsse. „Und irgendwann kommt der psychologische Blick für die Sache“, sagt Mikki. So hält er sich bei ängstlichen Kindern zurück, die jeder Schritt durch die Räume allein schon Überwindung kostet. Andere bekommen die härtere Dosis.

Gefährlich ist das Erschrecken indes manchmal auch für den Erschrecker. „Wenn man einigen Leuten zu nahe kommt, kann es passieren, dass sie reflexartig ausholen“, erzählt Mikki. Jetzt achtet er auf gebührenden Abstand und vermeidet, dass man in seinem Job von einem Berufsrisiko sprechen muss.

Gerade ist Einsatzbesprechung im Aufenthaltsraum. Marlit Friedland, die Chefin, lobt den Einsatz Mikkis. „Die haben ja richtig gekreischt“, frohlockt sie. „Aber hast du die schon erschreckt?“ Mikki schüttelt den Kopf und trottet mit seinem schwarzen Umhang los, zu seinem Arbeitsplatz.

Die Schülergruppe, nur fünf sind pro Durchgang zugelassen, macht noch Witze. Dann ereilt sie die perfekte Dramaturgie des Thrills. Zuerst knistert es nur aus den Boxen, das Ächzen und Stöhnen kommt noch aus der Ferne. Gleich im nächsten Raum zappeln die Geisterfiguren im Flackerlicht. Nebenan sind Unholde in rotes Licht getaucht, ihr Grunzen kommt aus dem Off. Gefolgt von der nebligen Gruft, in der die Sargdeckel hydraulisch klappern. Dort lauert Mikki und verrichtet in Sekunden seinen Job. Und nachdem er der Gruppe zum zweiten Mal aufgelauert hat, wird es den Schülern zu mulmig. Überall bewegt sich etwas, die Geräuschkulisse wird lauter und bedrohlicher. Die Gruppe rennt aufgeregt zurück – zum Eingang, in Sicherheit.

Die Geistershow im Obergeschoss ist für die meisten Besucher die Attraktion, doch auch im Unter- und Erdgeschoss geht der Horrortrash weiter. Während unten Geschichten über den ehemaligen Luftschutzbunker erzählt werden, illustriert mit Fundstücken und vielen technischen Plänen und Dokumenten an den Wänden, zerren die Ausstellungsstücke im Erdgeschoss noch einmal am Nervenkostüm. Dort stellen Figuren mutmaßliche medizinhistorische Szenen nach: Die Plage mit der Beulenpest, eine Bluttransfusion vom Lamm, die Beinamputation mit der Säge – der Rundgang führt durch kleine Panoramen mittelalterlicher Grausamkeiten und längst vergessener Quacksalbereien. Und auch hier verfolgt der Erschrecker die Besucher.

Für Marlit und Günter Friedland bedeutete der arrangierte Spuk im Betonbunker jahrelange Aufbauarbeit und einen zähen Schriftwechsel mit den Behörden. Damit aus der verwaisten Anlage ein Gruselkabinett entstehen konnte, mussten drei Etagen mit allen Sonderauflagen umgebaut werden. Anregungen hatte sie sich von ähnlichen Einrichtungen in England und Spanien geholt. Mit der Idee für ein Gruselkabinett waren sie in Deutschland die Ersten.

Dabei ist nicht nur das Erschrecken ein internationaler Job. Auch die realistisch aussehenden Kulissen werden von Künstlern in anderen Ländern angefertigt. Wo genau, verrät Friedland nicht: „Das bleibt Geheimnis des Hauses, es gibt nur wenige, die das so gut hinkriegen.“ Genau darin bestehe ja auch der Unterschied zur klassischen Geisterbahn: „Der Thrill fängt bei der Ausstattung an.“

Zur bevorstehenden Faschingszeit wird ihr Kabinett deshalb auch wieder zu einer Massenabfertigung. Fünf Erschrecker sind im Dauereinsatz und freuen sich auf jeden Besucher. „Dann geht das Getrampel und Geschreie erst richtig los“, grinst Mikki. Gleich wenn man aus dem S-Bahnhof kommt, soll man die Schreie schon als gruselige Vorwarnung hören.

Gruselkabinett im Luftschutzbunker am Anhalter Bahnhof, Schöneberger Str. 23 a, Berlin-Kreuzberg. Geöffnet täglich außer Mittwoch von 10 bis 19 Uhr, Anmeldungen unter Tel: 26 55 55 46; Weitere Infos im Internet: www.gruselkabinett-berlin.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen