: Experten amputieren Uni
Senat wird Kommission zur Reform der Hochschulmedizin einsetzen. Diese soll Sparalternativen zur Schließung des Klinikums Steglitz gleichrangig prüfen. Das hatte Wowereit bislang abgelehnt
von SABINE AM ORDE
Vielleicht lohnt sich Demonstrieren doch – zumindest wenn Unipräsidenten und Chefärzte mit Unterstützung der Springerpresse auf die Straße gehen. Für das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) und die medizinische Fakultät der Freien Universität (FU) jedenfalls gibt es neue Hoffnung. Eine unabhängige Expertenkommission soll ein Gesamtkonzept für die heftig umstrittene Reform der Berliner Hochschulmedizin erarbeiten. Darauf einigten sich gestern der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) auf der einen sowie Vertreter der Freien und der Humboldt-Universität und des Wissenschaftsrates auf der anderen Seite. Bislang hatte Wowereit eine solche Kommission strikt abgelehnt. Flierl dagegen hatte sich offener gezeigt.
Die Kommission wird allerdings nicht, wie es die Universitäten gerne gehabt hätten, ergebnisoffen beraten, sondern muss sich an zwei Zielen orientieren: Ab 2006 müssen Einsparungen von jährlich 98 Millionen Euro erbracht und muss zugleich die Leistungsfähigkeit der Hochschulmedizin und der Forschung erhalten werden. Das sagte Wowereit in Anschluss an das Treffen. Dabei soll die Kommission die von Rot-Rot geplante Umwandlung des UKBF in ein normales Regionalkrankenhaus und die Abwicklung des Fachbereichs Medizin der FU „gleichrangig mit Alternativen“ unter Einbeziehung der Charité prüfen. Die bereits im Rahmen der Hochschulverträge bis 2005 zu erbringenden Einsparungen von etwa 20 Millionen Euro pro Jahr sollen in die Sparsumme eingerechnet werden.
Die Expertenkommission will der Senat bereits am Dienstag nächster Woche einsetzen. Ihr sollen fünf externe Fachleute aus anderen Bundesländern angehören, die vom Wissenschaftsrat vorgeschlagen werden. Hinzu kommen als „Gäste“ drei Vertreter der Berliner Universitäten und einer des Senats. Innerhalb von zwei bis drei Monaten soll die Kommission der Landesregierung einen Vorschlag zur künftigen Struktur der Hochschulmedizin unterbreiten, im Juni will der Senat einen Beschluss fassen, sagte Wowereit. Dieser werde dann dem Wissenschaftsrat zur Begutachtung vorgelegt, der wiederum im November ein Votum abgeben soll. Gleichzeitig soll sich das Abgeordnetenhaus mit notwendigen Gesetzesänderungen befassen. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl, geht davon aus, dass der Senat wegen des „hohen Gewichts des Wissenschaftsrats“ dessen Empfehlung akzeptieren wird.
Nach dem Treffen im Roten Rathaus zeigten sich gestern alle Seiten zufrieden. Wowereit wies die Einschätzung zurück, er sei zurückgerudert. „Wenn wir die Diskussion in den vergangenen Wochen nicht gehabt hätten, würden wir heute hier nicht sitzen“, so der Regierende. FU-Präsident Peter Gaehtgens ist erleichtert, dass endlich „sachkompetente Überlegungen“ in die Planungen einbezogen werden. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende HU-Präsident Elmar Tenorth. Beide Unichefs gehen davon aus, dass Einsparungen in Höhe von 98 Millionen Euro zu erbringen sind, ohne einen Standort der Hochschulmedizin ganz zu schließen. „Allerdings wird die Berliner Hochschulmedizin in einigen Jahren ganz anders aussehen als heute“, so Tenorth. Die Wissenschaftsexperten der rot-roten Fraktionen, Christian Gaebler (SPD) und Benjamin Hoff (PDS), sind skeptischer. Beide äußerten gestern Zweifel, „ob es gangbare Alternativen gibt, die diese Einsparsumme erbringen“, wie Gaebler sagte.
Die drei Oppositionsparteien begrüßten die Einsetzung der Expertenkommission. Wowereit habe sich mit seiner „Sturheit und Halsstarrigkeit nicht durchsetzen können“ und sei nun eingeknickt, sagte CDU-Fraktionschef Frank Steffel. Damit bestünden nun wieder Chancen, dass UKBF doch noch zu retten. Die wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus, urteilte, der rot-rote Senat habe endlich auf die Proteste gegen die Schließung der FU-Medizin reagiert. Nun müsse die Koalition noch von der Einsparsumme von 98 Millionen Euro abrücken, da diese „wissenschaftsfeindlich und nicht realistisch“ sei. Auch der FDP-Abgeordnete Erik Schmid sprach von einem „Schritt in die richtige Richtung“.
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