„In Berlin ist alles erlaubt“

Heute eröffnen die 52. Internationalen Berliner Filmfestspiele. Klaus Keil, Intendant der Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH, freut sich, dass endlich zwei Streifen aus seinem Haus dabei sind. Aber er will mehr für den jungen deutschen Film: mehr Geld, mehr mutige Geschichten – vor allem aus Berlin

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Professor Keil, nach langer Zeit laufen wieder mehrere deutsche Beiträge im internationalen Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele – darunter Filme von Tom Tykwer und Andreas Dresen, zwei Filmemacher, die auch durch das Filmboard Berlin-Brandenburg „groß“ geworden sind. Bedeutet das eine Genugtuung für Sie?

Klaus Keil: Als Genugtuung empfinde ich das nicht, weil das zu sehr nach Rechtfertigung klänge. Heute muss sich das Filmboard mit weit über 600 Preisen, Auszeichnungen oder Pädikaten der geförderten Produktionen nicht mehr rechtfertigen wie in den ersten Jahren unserer Arbeit. Deshalb überwiegt Freude bei mir. Andreas Dresen etwa haben wir von seinem ersten Kinofilm an begleitet und dabei auch Experimente gewagt. Das ist ein Erfolg. Man kann es auch anders sagen: „Die Saat geht auf.“

Welche Signalwirkungen können von den deutschen, oder anders gesagt, Berliner Filmen für das Festival ausgehen?

Regisseure wie Tykwer und Dresen, Christopher Roth und Dominik Graf in das Programm zu nehmen, entspricht der neuen Philosophie von Festivalleiter Dieter Kosslick, der die Berlinale wieder mehr auf den deutschen Film fokussieren möchte. In Cannes laufen etwa fünf, sechs französische Produktionen. „Von den Franzosen lernen“, wie Kosslick einmal gesagt hat, ist die richtige Entwicklung auch für uns – und im wahrsten Sinne des Wortes wundervoll für deutsche Filme.

Mit wie viel Filmen ist das Filmboard präsent?

Neun Filme, die von uns gefördert wurden, werden in den unterschiedlichen Sektionen des Festivals gezeigt. Davon laufen zwei im internationalen Wettbewerb. Sechs Filme sind Nachwuchsprojekte.

Besteht da nicht die Gefahr, dass junge Regisseure scheitern und Kosslicks Idee verglüht?

Warum? Wir stellen uns der internationalen Konkurrenz. Das muss man aushalten. Aber wichtig ist, dass deutsche Beiträge mit einer anderen Zuwendung behandelt werden als früher.

Festivals sind eine Sache. An der Kinokasse dagegen nehmen deutsche Filme gerade einmal einen Marktanteil von 18 Prozent ein, im Ausland sind es noch weniger. Was tut das Filmboard, das zu verändern?

Generell, aber auch als Leit-idee für das Filmboard gilt, dass wir für den deutschen Film hier und im Ausland wieder eine Marke erzeugen müssen, wie es der Junge Deutsche Film mit Wim Wenders, Werner Herzog oder Volker Schlöndorff erreicht hat. Wir müssen wieder authentisch sein, die Filme müssen über das heutige Deutschland erzählen, sie müssen über Berlin erzählen und es braucht einen anderen „Look“.

Klingt das nicht etwas vollmundig, also typisch Berlin-mäßig?

Berlin ist Trend. Die Erneuerung des deutschen Films geht von Berlin aus. Hier sind die Kreativen, nicht in Castrop-Rauxel. Hier leben doch die verrückten Filmfreaks, hier ist alles erlaubt. Und „Wege in die Nacht“, „Nachtgestalten“, „Halbe Treppe“ oder „Alaska.de“ sind doch Beipiele, dass sich in der Stadt eine neue Marke entwickelt. Die Festivalbeiträge „Der Glanz von Berlin“, ein Dokumentarfilm über Putzfrauen, oder „Klassenfahrt“ haben diese genaue Beobachtung und zeigen unsere Wirklichkeit, von der ich gesprochen habe.

Wo sind die großen Stoffe über die neuere Zeit, Personen und Emotionen?

Mit „Marlene“, „Kalt ist der Abendhauch“ oder „Aimée und Jaguar“ haben wir das probiert. Warum sie nicht so erfolgreich waren in dem Hochrisikogeschäft, kann ich nur vermuten. Ein Punkt ist, dass ein jüngeres Publikum die Stoffe nicht akzeptiert. Außerdem habe ich das Gefühl, dass sich Autoren und Produzenten – abgesehen von der Komödienform wie in „Sonnenallee“ – noch nicht an die dramaturgische Aufbereitung der jüngsten Geschichte herantrauen.

Das Filmboard wurde 1994 gegründet – Zeit genug, darauf hinzuarbeiten?

Sicher sind siebeneinhalb Jahre nicht wenig. Aber die Idee der Professionalisierung auf zwei Bereiche, nämlich die Drehbuchentwicklung und die unternehmerische Professionalierung in Berlin-Brandenburg zu fördern und zu steuern, brauchte die Zeit. An der Entwicklung vieler Projekte, aber auch an Personen wie Tykwer oder Dresen lässt sich das ablesen – und dass die kontinuierliche Arbeit Früchte trägt.

Die Berlinale wertet den Filmstandort Berlin auf. Trotzdem kommt die Filmwirtschaft im Vergleich zu Paris oder München nicht richtig auf die Beine. Ein Dauerzustand, politisches oder strukturelles Versagen?

Das früher oft bemühte Argument, dass andere nationale und internationale Standorte in ihren Strukturen besser bestückt seien als Berlin, sticht nicht mehr. Die hoch entwickelten Infrastrukturen wie etwa in Bayern haben wir inzwischen auch. Vor allem besteht hier eine wunderbare Dichte an kreativen Leuten. Aber es mangelt an Geld, obwohl gerade das Filmboard gezeigt hat, dass man mit relativ wenig Geld relativ viel bewerkstelligen kann. Aber wir könnten noch viel mehr, wenn wir mehr davon hätten: mit der Konsequenz, dass hier mehr Filme gedreht und der Nachwuchs noch mehr gefördert werden könnten, wir größere Chancen und Erfolg hätten. Nur so wachsen Know-how und der finanzielle Rückfluss, die Frequenz der Herstellung und Vermarktung. Nur so wird alles heißer und dichter. Mit unseren rund 16 Millionen Euro jährlicher Fördersumme kommen wir gegen Bayern (30 Mio. €) oder NRW (fast 50 Mio. €) nicht mit.

Im vergangenen Jahr sah es danach aus, dass die Mittel zurückgefahren werden sollten.

Wowereit und Stolpe haben gesagt, dass wir ihre politische Rückendeckung erhalten und sie die Mittel aufstocken wollen. Gysi hat signalisiert, dass Berlin seine Zuwendungen auf 10 Millionen Euro aufstocken will. Dem hat sich Brandenburgs Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß nicht verschlossen. Dann wären wir an der Stelle, von der ich immer ausgegangen bin: 20 Millionen Euro für die Region.

Ist es angesichts der dramatischen Haushaltsdefizite beider Länder nicht eine Illusion, nachhaltig auf den Förderweg zu setzen? Sollte sich das Filmboard nicht nach neuen Finanzquellen umsehen?

Seit einiger Zeit sind wir dabei, alternative Finanzierungsformen wie etwa einen Bankenfonds zu installieren. Wenn das gelingt, kämen wir sehr weit. Aber die Aufgabe der staatlichen Förderung bleibt die Entwicklung von Talenten und Nachwuchs. Sonst entsteht nur der reine Mainstream.

Wer bekommt die Bären auf der Berlinale? Trauen Sie einen den neuen deutschen Filmen zu?

Was soll ich jetzt sagen? (lacht) Es gibt viele aufregende Produktionen aus dem Ausland. Was nicht heißt, dass die unsrigen nicht preisverdächtig sind.