piwik no script img

village voice „Einen Gegen“ von Doc SchokoSongs für drinnen und für draußen

Als Doc Schoko noch ein kleiner Junge war und Rüdiger Fichtel, Erwin Abramcyk oder Hubert Kremers hieß, fragte ihn der Eismann seines Vertrauens jedes Mal wieder: „Was für eine Sorte darf’s denn sein, Doc?“ Obwohl der kleine Doc Schoko wusste, dass der Eismann das lange wusste und die Frage lediglich eine rhetorische war, antwortete er jedes Mal brav: „Schoko“.

Diese kleine Geschichte erzählt Doc Schoko im Intro seines ersten Longplayers „Einen Gegen“, wahrscheinlich, um seinen Künstlernamen begreiflicher zu machen. Vielleicht aber auch, um auf eine seiner hervorstechendsten Eigenschaften als Musiker zu verweisen. Denn so wie er sich vom Eismann nicht ins Bockshorn jagen ließ, so stoisch und unbeirrbar ist er geblieben, als er später in Nordrhein-Westfalen seine ersten Gehversuche macht als „Der lose Zusammenschluss“. Mal mit, mal ohne Band, sind es eigentümlich-berückende Konzerte, die Doc Schoko spielt, beyond fake, wider fliegende Bierbecher und direkt aus dem Sandkasten. Und auch in Berlin, wo er im Umfeld der Galerie berlintokyo auftaucht und sich befreundet mit Bands wie den Zen-Faschisten und Stereo Total, ist das nicht anders. Auch hier spielt er Musik, die beim ersten Hören nur von einem Radikalindividualisten und Außenseiter stammen kann, die karg und hartnäckig ist. Die dann aber den Song und manchmal eine kleine Melodie im Zentrum ihrer vollen Entfaltung stehen hat, Geschichten über das Leben, die Liebe und Langusten.

Eine kurze Zeit lang hatte diese Art von Musik sogar eine kleine Blütezeit. Mitte der Neunziger waren es Musiker und Bands wie Beck oder Mountain Goats, wie Smog oder Will Oldham, die als Alternative zum Alternative Rock gefeiert wurden. Wie bei Hypes üblich, legte sich die Euphorie schnell wieder. Die Musiker aber machten weiter, weil sie nicht anders konnten, weil die Musik zu ihrem Leben gehörte und sie selbst die Musik waren. Das gilt auch für Doc Schoko, der etwas von einer Hollywood-Figur wie dem Oscar hat: Keine Lichtgestalt, das nicht, aber einer, der von der schäbigen Alltagswelt und ihrem Krämergeist unberührt ist. Einer, der gelassen über all der Geschäftemacherei in der großen Stadt steht.

Mögen sie in Berlin doch alle busy sein und an ihren Karrieren feilen, auch seine Freunde, für die er sich durchaus freut: Doc Schoko bleibt lieber bei sich. Er veröffentlicht eine Single und nennt die „Doc Schoko auf freiem Fuß“ oder Beiträge für Sampler, wo nicht Berlin draufsteht. Er macht für Falko Hennig und dessen Radio Hochsee das Musikprogramm. Und er ergreift die Gelegenheit, selbst mal ein Album zu veröffentlichen. Aber nur auf Vinyl, versteht sich.

Eine „Tasche voll Musik“ präsentiert Doc Schoko auf „Einen Gegen“, „für ein Ziel, das keiner kennt“. Songs für drinnen und noch mehr für draußen, Songs, die spontan erfreuen und kicken, die verstören und nerven. Musik, die zuhause in Docs Neuköllner Einzimmerwohnung aufgenommen und wie früher als loser Zusammenschluss eingespielt wurde. Mit Leuten, die T. Spass heißen oder D. Wäsche, F.H. Bounty oder Der und Die von Dirty Dietz, mit Schlagzeugern, Geräuschemachern oder Remixern. Homerecorders Lieblingsmusik, die in mancher Jukebox ihren Platz finden könnte.

Denn Hits hat es auf „Einen Gegen“ so einige. Schwerkaliber wie „Tanzschuhe“, gegen das kein Discoknaller von Stereo Total ankommt. Oder „Katzentanz“, auf das auch das Jeans Team stolz sein würde. Und wenn der Eismann nicht gestorben ist, fragt er Doc Schoko bestimmt noch heute nach der Sorte. Nur dass dieser antwortet: Lo-Fidelity, lo-fidelity.

GERRIT BARTELS

Doc Schoko: „Einen Gegen“ (Eigenvertrieb: Doc.Schoko@gmx.de)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen