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Kapital des Terrors

DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER

Globalisierung fordert Partizipation. Sie belohnt die Mitfahrer und bestraft die Ausgeschlossenen

„Der Kampf tobt!“ Börsendienst „StarInvest“, Ausgabe 1/2002

Banker, Börsenfachleute und Geheimdienste beobachten sorgenvoll die intimen Verbindungen des Terrorismus mit dem internationalen Finanzsystem. Alles ist vernetzt in dieser Welt, das Gute wie das Böse. Das ist nicht neu. Schon das Kino der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zeigte ja das Monstrum Mabuse als Spinne im Netz einer weltweit agierenden Plutokratie. Dieser Vorgänger Bin Ladens manipulierte Hausse und Baisse und schöpfte die Energien für seine Verbrechen – und die Moneten, die er brauchte – aus Börsenkrach und Inflation. Die Wirtschaftskatastrophen und Massenmördereien des 20. Jahrhunderts haben vorbereitet, was heute geschieht. So darf sich niemand wundern, dass dieses Ding, das da Globalisierung heißt, als menschheitsbeglückende Maschine noch nicht so richtig funktioniert.

Eigentlich sollte das weltweite Wirtschaften ja weltweiten Reichtum, nicht aber weltweit operierendes Verbrechen bringen, ließen kürzlich der schwedische Wirtschaftsminister Leif Pagrotsky und der amerikanische Ökonom Joseph Stiglitz verlauten. Der fatale Aspekt der Globalisierung sei beharrlich von jenen Kreisen verschwiegen worden, „die sie vor noch gar nicht so langer Zeit in den schillerndsten Farben ausmalten“. Es seien die „Rahmenbedingungen“, die beiden Seiten Vorschub leisteten: den Lichtgestalten in den Palästen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds – und den Mächten der Finsternis.

So viel Nachdenklichkeit kommt zwar nicht ganz ohne die bekannten mythischen Konstellationen aus. Danach gibt es gutes und böses Geld, Wohltäter und Verbrecher. Aber sie lenkt den Blick immerhin auf die Strukturen. Globale Vernetzung ist ein System und folgt einem Gesetz, das allen aktiv Beteiligten Vorteile, weil Zugang zu einer neuen Dynamik verschafft. Globalisierung fordert Partizipation. Sie belohnt die Mitfahrer und bestraft um so fürchterlicher die Ausgeschlossenen – am schlimmsten diejenigen, die zwischen Partizipation und Nichtpartizipation gar nicht wählen können.

Belohnt werden zum Beispiel die im internationalen Finanzsystem professionell agierenden Terrornetze – und grausam bestraft die armen Schurken, die sich unsere Weltmacht in den afghanischen Bergen als Stellvertreter der bösen Terroristen schnappt. Die so genannten Al-Qaida-Kämpfer, mit dem Stempel der Gesetzlosigkeit versehen, repräsentieren in Guantánamo die derzeit verworfenste Spezies im Menschheitszoo. Ihr Verbrechen besteht allein darin, dass sie als Bewohner afghanischer Bergdörfer nicht in der Lage gewesen sind, sich für oder gegen die Globalisierung zu entscheiden. Ebenso wenig wie jene Immigranten, die von der australischen Regierung in den Lagern von Woomera hinter Stacheldraht gepfercht werden.

In unserem komplexen und schwer durchschaubaren Finanzsystem werde selten danach gefragt, woher das Geld stammt, so der schwedische Minister und der amerikanische Ökonom. Vielleicht sollte man aber auch danach fragen, wie die gegenwärtig zirkulierenden Geldmassen überhaupt entstehen. Aus einem Börsendienst, der mir seit längerem unaufgefordert zugeschickt wird, erfahre ich, dass wir zur Zeit „die stärkste monetäre Expansion seit dem Zweiten Weltkrieg“ verzeichnen können. Zusammen mit der weltweiten Rezession biete sie ein Umfeld, das für „antizyklische Aktieninvestitionen“ nachgerade ideal sei. Geldvermehrung plus Wirtschaftsflaute bilden also eine Art chemische Mischung, die noch mehr Geld heckt – so wie weiland die traditionelle Aktienspekulation und die krude, aber vergleichsweise biedere kapitalistische Ausbeutung. Es wäre seltsam, hätten globale Terrornetze aus der neuen Lehre nicht längst ihre Konsequenzen gezogen.

Aus meinem Börsendienst erfahre ich auch, dass es zwei Sorten von Geldvermehrern – „Bären“ und „Bullen“ – gibt. Die Bären sind zaghaft und denken in althergebrachten Kategorien. Die steigenden Arbeitslosenzahlen und die ungelöste Argentinienkrise lassen sie mit Sorge auf die Kurse starren. Anders die innovativ eingestellten Bullen: Die weltweiten Kostensenkungsprozesse, zumal der Personalabbau in den USA, stimmen sie fröhlich. Die Turbulenzen der New Economy verwirren sie keineswegs, die Panik nach den Anschlägen in New York wird von ihnen clever genutzt. Zumal die „extrem zusammengeprügelten Technologieaktien (Turn-arounds) bieten attraktive Kaufgelegenheiten“ und Gewinn versprechende Strategien wie „Stock-Picking“ an.

Die Welt müsse die Rahmenbedingungen der internationalen Finanzmärkte verändern, wenn sie den Terrorismus wirkungsvoll bekämpfen wolle, schlagen Pagrotsky und Stiglitz vor. Es sei an der Zeit, jene exotischen Inseln in Augenschein zu nehmen, die Eldorados des gehorteten Kapitals und des Steuerbetrugs im 21. Jahrhundert sind: die Virgin Islands, wo 300.000 eingetragene Firmen operieren, oder die Cayman Islands, auf deren Bankkonten 500 Milliarden Dollar liegen. „Das Geld befindet sich nicht deshalb dort, weil diese Banken besseren Service bieten als die in New York, London oder Frankfurt. Zum Großteil ist es dort zu Zwecken der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung deponiert.“

Dass die Märkte vom Terror auch manipuliert werden, muss keine Verschwörungs–theorie sein

Dass Terroristen an Geldwäsche interessiert sind und wenig Neigung zeigen, Steuern zu zahlen, leuchtet ein. Vielleicht aber ist jemand, der ein Hochhaus in die Luft jagen will, gar nicht mehr darauf angewiesen, erst einmal einen Scheck einzulösen, damit er seinen Coup finanzieren kann. Lässt er sich von den richtigen Bullen beraten, die sich aufs „Stock-Picking“ verstehen, dürfte er jederzeit gehörig bei Kasse sein – dank eines ebenso gigantischen wie virtuellen Finanzmarkts, auf dem die Spuren der Transaktionen nur schwer oder gar nicht zurückzuverfolgen sind. Auch die Beschaffungskriminalität entfällt weitgehend, wenn ihre Mechanismen in die Struktur der globalen Aktienmärkte als wundersame „monetäre Expansion“ eingebaut sind.

Warum sollten die globalen Terrornetze nicht längst an die neuen Aktienmärkte angeschlossen sein? Dies einmal vorausgesetzt, wäre die Hypothese, dass die Märkte vom Terror auch manipuliert werden, mitnichten nur Verschwörungstheorie. Im Gegenteil, sie würde den Anschlag auf das World Trade Center aus dem Himmel der Symbol- und Simulationstheorien auf den Boden der Tatsachen herunterholen. Er war womöglich haargenau das, als was er sich auswirkt: eine gezielte weltwirtschaftliche Maßnahme, deren Auftraggeber ebenso anonym geblieben sind wir ihre Urheber.

Während Denker wie Baudrillard die Wirklichkeit im Bild und seiner Symbolkraft verschwinden sehen und darob fast ihren Verstand verlieren, befinden wir uns wahrscheinlich längst in einer neuen, ungemütlichen Phase der ökonomischen Realität. In ihr büßen die konzentrierte wirtschaftliche Macht, das Bruttosozialprodukt, die Erwerbstätigen oder die ausgeglichene Handelsbilanz zunehmend an Bedeutung ein. Zwei einstürzende Hochhäuser genügen, um sie aus den Fugen zu bringen. Und auf den Finanzmärkten werden die Karten neu gemischt.

Fotohinweis:Klaus Kreimeier ist Publizist und Medienwissenschaftler.

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