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Lärm im Schlichtungsverfahren

■ Modell für weitere Moderationsprozesse im Land: In Weddewarden soll zum ersten Mal zwischen Betroffenen und Behörde, Anwohnern und Containern vermittelt werden

Die Kritiker sitzen hinten rechts, sechste Reihe. Sie haben ein Haus in Weddewarden und einen Nervenzusammenbruch hinter sich – wegen des Lärms vom Containerterminal. Jetzt steht mit der geplanten Erweiterung der Kaje (CT IV) dem 700-Seelen-Dorf am Rande Bremerhavens noch mehr Lärm ins Haus. Entsprechend tief sitzt dort der Frust über die Planer, die von noch mehr Umschlag reden.

Dienstagabend, Stadtwerke Bremerhaven: erste Ortsversammlung. Behördenvertreter mit den CT IV-Plänen in der Tasche stoßen auf rund 100 KritikerInnen. Zum ersten Mal allerdings läuft das halbwegs kontrolliert ab – in einem Moderationsverfahren, das jetzt zwischen Anwohnern und Behörden vermitteln soll.

Während Mediation fast allerorten boomt, wagt man sich im Land Bremen erst jetzt an die etwas andere Form der Bürgerbeteiligung, die auf dauerhafte und bedarfsgerechte Kompromisse setzt. „Bislang kamen die Bürger nur bei der Umweltverträglichkeitsprüfungen zu Wort, und auch das ging an den meisten vorbei“, räumt die Stadt Bremerhaven ein, die hoheitsrechtlich für das 450-Millionen-Euro-Großprojekt zuständig ist. Diesmal habe man sich durchgerungen, „die Diskussionen in organisierte Bahnen zu lenken, die Sorgen der Bürger ernstzunehmen.“ Sprich: mit Hilfe einer Agentur namens „iku“ ein Schlichtungsverfahren zu initieren. Zwar können die Betroffenen jetzt reden, viel Einfluss haben sie aber nicht: Bremens erstes Dialogverfahren ist nicht ergebnisoffen, ist keine richtige Mediation. „Hier geht es nicht darum, ob der CT IV gebaut wird“, stellt Moderator Marcus Bloser klar. „Sondern: Wie kann man den Containerterminal möglichst sozialverträglich bauen?“ Wohlweislich mit einem großen Fragezeichen am Satzende: „Kann man das?“

Der Unmut von Reihe sechs angefangen folgt prompt und ist gewaltig: „Kann man nicht“, schreit die Menge. „Verräter“ schreien sie ebenfalls, als klar wird, dass die Moderatoren von BremenPorts und der Stadt Bremerhaven bezahlt werden. Die enge Tagesordnung, nach der Bloser um diese Zeit für exakt 15 Minuten den aktuelle Planungsstand erörtern lassen wollte, geht für die nächsten anderthalb Stunden koppheister. Der Versuch so etwas wie „Gesprächskultur“ zu etablieren, ebenfalls.

Am Anfang sei so viel Ärger fast normal. „Das geht hier ja nicht erst seit ein paar Monaten so“, räumt „iku“-Frau Ann-Kathrin Kühr ein: „Da muss man erst mal Dampf ablassen.“ Auch das gehöre zum Programm. Konkrete Angebote hingegen können die Moderatoren den Anwohnern nicht machen, nur Vorschläge an die Pinnwand heften, um auf den noch folgenden Workshops darüber zu reden.

Auch deshalb gleicht die Moderation einer Gradwanderung – vor allem für die Bürgergemeinschaft Weddewarden. Denn ohne deren Beteiligung wäre das Moderationsverfahren komplett hinfällig. So aber müssen sich die Sprecher der Bürgergemeinschaft vorwerfern lassen, mit ein paar Häppchen Entgegenkommen „eingelullt“ und handzahm gemacht zu werden. „Wir können natürlich nicht sagen, ob unsere Gegner mit offenen Karten spielen“, gesteht Sprecher Ulf Jacobsen. „Aber wir wollen ausloten, was möglich ist.“ Einziger Vertrauensgarant sind die beiden Moderatoren, die für die Umsetzung der vereinbarten Ziele bürgen wollen. Beziehungsweise der Klageweg, den sich die BI offen hält.

Die Stadt Bremerhaven und BremenPorts auf der anderen Seite haben nicht viel zu verlieren. Sie bieten an, die Häuser-Aufkäufe während des Dialogverfahrens vorläufig einzustellen oder großzügig in der Frage der Schallschutz-Aufwendungen umzugehen. Auch über attraktivitätssteigerende Maßnahmen für Weddewarden lasse sich reden. Kommt bis Sommer eine Einigung zustande, könnte das Moderationsverfahren auch in Bremen Schule machen. Aber das wird man noch sehen.

Dorothee Krumpipe

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