: Warteschleife Arbeitsamt
LOHN UND BROT (5): „Jump“ soll Jugendliche in Ausbildung und Arbeit bringen. Das Programm wirkt ganz erfolgreich – doch das ist vor allem ein Trick der Statistik
Bei der Arbeitslosigkeit gerät die Regierung unter Zugzwang. Nun wird auf die Schnelle das Mainzer Kombilohnmodell bundesweit ausgedehnt, das jedoch höchstens 30.000 neue Stellen schaffen wird. Ähnlich mager fällt die Bilanz bei schon bestehenden Programmen aus – zum Beispiel bei „Jump“. 1999 eingeführt, sollte es mindestens 100.000 Jugendliche pro Jahr in Ausbildung und Arbeit bringen.
Und zumindest Arbeitsminister Walter Riester sieht in dem Programm einen „riesigen Erfolg“; Jump soll bis zum Jahr 2003 fortgesetzt werden. Doch des Ministers Erfolgsmeldungen entsprechen nicht der Realität. Die meisten der Jugendlichen, die an Jump teilgenommen haben, bleiben weiterhin arbeitslos oder verweilen in Warteschleifen – getarnt durch die Statistik.
Um Jump kurz vorzustellen: Träger des Programms ist die Bundesanstalt für Arbeit; ausgeführt wird es von den lokalen Arbeitsämtern. Das Programm kostet jährlich etwa eine Milliarde Euro; davon übernimmt der Europäische Sozialfonds ungefähr 300 Millionen.
Der Maßnahmenkatalog von Jump umfasst unter anderem außerbetriebliche Ausbildungsmaßnahmen, Trainings- und Weiterbildungsangebote, Lohnkostenzuschüsse, Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie die Betreuung der Jugendlichen.
Seit In-Kraft-Treten des Programms hat es allerdings einige Veränderungen gegeben. So wurde im Jahre 2000 festgehalten, dass die Lohnkostenzuschüsse nun „gezielter eingesetzt werden, um eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern“. Eine weitere wichtige Neuerung war, dass für den Fall eines vorzeitigen Übergangs von einer außerbetrieblichen in eine betriebliche Ausbildung der Vermittler eine Prämie von 4.000 Mark, jetzt 2.000 Euro, erhalten kann. Zudem gilt seit dem Jahr 2000 eine Mindestbeteiligungsregel für ausländische Jugendliche; sie müssen wenigstens entsprechend ihrem Anteil an der Jugendarbeitslosigkeit vertreten sein, der etwa 16 Prozent beträgt. – Das Programm richtet sich an Jugendliche unter 25 Jahren.
Wie die Bundesanstalt für Arbeit gestern bekannt gab, waren 502.427 Jugendliche im Januar 2002 offiziell arbeitslos. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies eine Steigerung um 11,6 Prozent. Schon dies nährt Zweifel am Erfolg von Jump.
Doch auch im Detail zeigen sich die Schwierigkeiten, wenn man etwa die von der Bundesanstalt selbst erstellten Statistiken betrachtet, die den Verbleib der Jugendlichen nach Abschluss der Maßnahme festhalten. Wie das hauseigene Forschungsinstitut IAB ermittelt hat, sind 33,1 Prozent der Jugendlichen unmittelbar nach Abschluss der Maßnahme erneut arbeitslos, sechs Monate später sind es immerhin noch 24,5 Prozent. Doch bedeutet dies nicht, dass die restlichen 75,5 Prozent der Jugendlichen nun eine reguläre Arbeit gefunden hätten. Denn nicht berücksichtigt sind jene Jugendlichen, die anschließend in eine außerbetriebliche oder betriebliche Ausbildung wechseln, die eine weitere schulische Berufsausbildung beginnen, erneut eine Trainingsmaßnahme absolvieren oder anderen Aktivitäten nachgehen (dazu gehören Mutterschafts- und Erziehungsphasen und der Wehr- oder Zivildienst).
Legt man das eigentliche Ziel zugrunde, nämlich die Jugendlichen möglichst in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, dann ergibt sich: Überhaupt nur 24,1 Prozent der Jump-Teilnehmer gehen sechs Monate nach Abschluss einer Maßnahme einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung nach – oder sind wenigstens befristet beziehungsweise in Teilzeit beschäftigt.
Mit Jump bleiben also die grundlegenden Strukturen der Jugendarbeitslosigkeit unangetastet. Größtenteils handelt es sich bei den Angeboten um Kurzzeitmaßnahmen. Jump zielt eher auf Ausbildung und Qualifizierung als auf langfristige Beschäftigung. Dabei dürfte die Hoffnung eine Rolle spielen, dass der Markt die Kluft zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage schon irgendwie schließen werde. Ein einheitliches Gesamtkonzept fehlt. Das Programm bekämpft nicht die Ursachen, sondern versucht, die Symptome vorübergehend abzuschwächen.
Zudem stellt sich die Frage, inwiefern die Bundesanstalt überhaupt in der Lage ist, auf den veränderten Arbeitsmarkt und die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen einzugehen. Das hohe Maß an Bürokratie führt zwangsweise zu unflexiblem Vorgehen. Zudem ist die Bundesanstalt von dem Idealbild einer kunden- und problemgerechten Arbeits- und Ausbildungsberatung weit entfernt. In ihrer Monopolstellung neigt sie dazu, die Angebote „von oben nach unten“ den Arbeitsämtern zu diktieren, unabhängig von den Bedürfnissen der Arbeit- und Ausbildungsuchenden. Zudem mangelt es an Zusammenarbeit zwischen den Ämtern – vor allem aber auch an einer Kooperation mit den freien Trägern der Jugendhilfe. Diese hätten die Jugendlichen direkter ansprechen und die Bürokratie reduzieren können.
Bedauerlich ist auch, dass sich die Arbeitsämter zu wenig um die Problemgruppen bemüht haben. Das hätte zunächst eine breit angelegte Motivationskampagne erfordert, um die schwer erreichbaren Jugendlichen an Jump heranzuführen. Die Arbeitsämter hätten also kurzfristig auf hohe Eintrittszahlen in das Programm verzichten müssen – was ihren Interessen jedoch bisher zuwiderläuft, da sie Erfolgskontrollen unterworfen sind und hauptsächlich Vermittlungszahlen vorweisen und finanzielle Mittel umsetzen müssen.
Doch bei aller Kritik: Jump hat die Jugendlichen auch mobilisiert, neu motiviert. Durch dieses Programm haben selbst die Schwächsten das Gefühl, dass sich jemand um sie, um ihre berufliche Eingliederung kümmert. Zudem wurden mit Jump viele Jugendliche erreicht, die offiziell bei der Arbeitsverwaltung gar nicht als Ausbildung- oder Arbeitsuchende gemeldet sind. Das wiederum deutet darauf hin, dass diese Jugendlichen schon aufgegeben und resigniert hatten – und nun durch Jump tatsächlich wieder aktiviert wurden.
Insgesamt gilt jedoch: Jump trägt nicht zu einem effektiven, langfristigen Abbau der Arbeitslosigkeit bei. Kurzfristige Sofortprogramme und hektische Anstrengungen wie der Kombilohn werden die Zahl der Arbeitslosen kaum verringern. Medienwirksam inszeniert, tragen diese Maßnahmen höchstens dazu bei, die offizielle Arbeitslosenstatistik ein wenig nach unten zu schönen.
Doch eigentlich geht es um andere Fragen: Wie können in Zukunft mehr Jobs geschaffen werden? Wie können Jugendliche schon in der Schule besser für den Arbeitsmarkt ausgebildet werden? Und wie lässt sich die Zusammenarbeit zwischen Arbeits- und Sozialämtern sowie den freien Trägern verbessern? Manche dieser Fragen wirft ja nun auch der Bericht des Bundesrechnungshofes auf.
ANNE HERZLIEB
Fotohinweis:Anne Herzlieb studiert Politik an der Freien Universität Berlin
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